Der Sparkurs der Regierung trifft Sachsen hart. In den letzten Wochen sind in ganz Sachsen Projekte und Einrichtungen der Sparpolitik zum Opfer gefallen. Betroffen sind dabei vor allem Förderungen der Sächsischen Aufbaubank, des Landes Sachsen und der Kommunen. Auch in Chemnitz wurde schon Stimmen laut gegen den aktuellen Sparkurs im Zuge der kommunalen Haushaltsverhandlungen. "Chemnitz, du hast sie doch nicht alle?!" titelte das Bündnis Chemnitz Nazifrei auf Instagram.
Kürzungen an der falschen Stelle
Comparti hat sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Anlaufstelle für demokratische Beteiligung von Migrantinnen und Migranten entwickelt. Nun sind die Tage dieses Projekts von AGIUA e.V. gezählt. Mit Beginn des Kulturhauptstadtjahres 2025 wird es keine vergleichbare Beratungsstelle in Chemnitz geben. Warum war Comparti so wichtig für Chemnitz? "Weil die Menschen wirklich wussten, dass sie uns um Hilfe bitten können!" so Maria Kramer, Mitarbeiterin des Projekts. Das Thema der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung werde von kaum einem anderen Projekt aufgenommen. "Gleichzeitig ist Beteiligung aber unentbehrlich für Integration", so Kramer. "Ähnliche Projekte, wie das Haus der Kulturen oder das Internationale Zentrum IZDA leisten ebenfalls bedeutsame Arbeit, haben jedoch einen breiteren Fokus" merkt der Projektmitarbeiter Alexander Saavedra an.
Abschied des Projekts im Metropol-Kino
Am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte feierte Comparti seinen Abschied in Chemnitz. Bisher war das Projekt des AGIUA e.V. durch die Sächsische Aufbaubank gefördert. Eine Projektverlängerung wurde nun ohne Begründung durch die SAB ausgeschlossen. Zu diesem schmerzlichen Anlass erschienen etwa 50 Gäste im Foyer des alten Kinos zu Kaffee und Kuchen. Auch der Sächsische Flüchtlingsrat, das Human Aid Collective und die Stadtteilpiloten unterstützen die Veranstaltung mit ihren Ständen. "Manchmal haben wir Migranten das Gefühl, dass unsere Stimme nicht zählt. Aber das ist falsch!", erzählt Alexander. Deswegen sei es so wichtig, die politische Beteiligung zu stärken.
Feindschaft oder Gemeinschaft?
Seit den rechten Mobilisierungen in Chemnitz 2018 haben sich die Gräben in der Stadt kaum geschlossen. Im Gegenteil - Wahlergebnisse, Umfragen und öffentliche Veranstaltungen zeigen vielmehr, dass verschiedene soziale Gruppen in Chemnitz weiterhin wenig miteinander teilen (wollen). Während die wöchentlichen Aufmärsche der als rechtsradikal eingestuften "Freien Sachsen" mittlerweile zur Routine geworden sind, gab es in den letzten Jahren vermehrt auch öffentliche Präsenz von Menschen mit Migrationsgeschichte.
Mehr politische Aktivitäten und mehr Engagement
So demonstrierten 2022 die Angehörigen des Geflüchteten Bilal Jaffal, der im Nachgang einer körperlichen Auseinandersetzung mit deutschen Jugendlichen in seiner Unterkunft verstarb. Bilals Familie, die libanesische Community und gebürtige Chemnitzerinnen gingen gemeinsam für die Aufklärung der Todesumstände auf die Straße. Außerdem demonstrierten in den letzten drei Jahren Menschen aus Iran, Ukraine und Palästina gegen die Kriege und für Frieden in ihren Heimatländern. Ebenso wie die Präsenz migrantischen Lebens in der politischen Landschaft und in der städtischen Architektur wächst, so steigt auch das Engagement in Vereinen, Ehrenämtern und Initiativen. Genau hier hat die Arbeit von Comparti angesetzt.
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Warum war Comparti so wichtig für Chemnitz? "Weil die Menschen wirklich wussten, dass sie uns um Hilfe bitten können!" so Maria Kramer, Mitarbeiterin des Projekts. Foto: Elena O. -
"Manchmal haben wir Migranten das Gefühl, dass unsere Stimme nicht zählt. Aber das ist falsch!", erzählt der Mitarbeiter Alexander Saavedra (links). Foto: Elena O.
Comparti: Ein Projekt für eine vielfältige Gesellschaft
Comparti war ein wegweisendes Projekt, das sich der Ermächtigung und Integration von Menschen aus Einwandererfamilien widmete. Ab einem Alter von sechs Jahren eröffnete es diesen Menschen neue Möglichkeiten zur politischen und gesellschaftlichen Mitwirkung. Das Projekt bot eine Plattform, auf der Individuen ihre Interessen entdecken und umsetzen konnten, wodurch sie zu aktiven Mitgestaltern der Gesellschaft wurden. Dabei konzentrierte sich Comparti auf die Beratung von Migrantinnen und Migranten, die Analyse von Teilhabe-Barrieren und die politische Bildung.
Drei Jahre dem Herzen gefolgt
Der Diplom-Soziologe Gregor Freytag war Projektleiter bei Comparti und hat selbst für die Gründung des Projekts gekämpft. Er war auch schon in der ersten Projektphase von 2017 bis 2020 dabei und hat sich für eine Weiterförderung eingesetzt. "Für mich war Comparti ein Herzensprojekt. Wir haben uns in den letzten Jahren ein gutes Team aufgebaut und konnten wirklich viel auf die Beine stellen!", so der Projektleiter. Schon Mitte 2022 hatte Comparti einen großen Kreis an Kooperationen und Unterstützenden.
Bildung für Menschen mit Migrationsgeschichte
Alexander Saavedra ist selbst als politischer Oppositioneller aus Venezuela geflüchtet. "Unser große Herausforderung war immer, die Communities zu erreichen. Nicht alle Migranten wollen sich gesellschaftlich beteiligen, weil Viele sehr beschäftigt sind mit Arbeit und Integration", sagt Saavedra aus eigener Erfahrung. Comparti legte stets besonderen Wert auf die Stärkung der selbstbestimmten Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Es wurden spannende Veranstaltungen zu den Themen Politik, Kultur und Gesellschaft angeboten, wie etwa Demokratietage. "Dabei haben wir uns immer an Bedarfen orientiert: Was bewegt die Menschen hier und was wollen sie lernen?", berichtet Gregor.
Animieren und aktivieren
Im Rahmen des Projekts hat das Team auch Jugendliche aufgesucht, zum Beispiel an der Flughafenschule, um die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen zu erfassen. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern wurde in Workshops über Themen wie Rassismus und Armut gesprochen. "Unser Ziel war immer, dass sich mehr Menschen an gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten beteiligen", so Alexander. Um die mangelnde Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte zu verbessern, sei dies der erste Schritt.
Gleichberechtigte Beteiligung
Comparti hat sich außerdem traditionell immer an den Interkulturellen Wochen, sowie an Aktionen zum Weltflüchtlingstag beteiligt und andere Initiativen eingeladen. Dabei lag der Fokus für das Comparti-Team immer auf gleichberechtigter Partizipation und der Beteiligung von Geflüchteten und Menschen mit Migrationsgeschichte. "Es ist überall wichtig, sich politisch zu beteiligen, damit wir unsere eigenen Rechte und Forderungen vertreten können", erzählt Alexander.
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"Für mich war Comparti ein Herzensprojekt. Wir haben uns in den letzten Jahren ein gutes Team aufgebaut und konnten wirklich viel auf die Beine stellen!", so der Projektleiter. Foto: Elena O. -
Für die Projektmitarbeiterin Maria Kramer waren Highlights von Comparti ihre Beteiligung beim "Tag des Flüchtlings 2024" in Chemnitz und die Kampagne "Bunte Stühle". Foto: Comparti -
Das Projekt "Bunte Stühle für Vielfalt" war eine Aktion gegen Rassismus, Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit. Foto: Comparti
Die Steine aus dem Weg räumen
Zudem unterstützte das Projekt die Teilnehmer bei der Gründung eigener Initiativen oder Vereine, um ihre Anliegen und Visionen in die Tat umzusetzen. "Wir haben Initiativen von Migrant*innen dabei geholfen, Räume für ihre Treffen zu finden oder ihre eigenen Themen zu bearbeiten und selbst Veranstaltungen zu planen" so Gregor. Diese Unterstützung sei besonders wichtig, um migrantische Identitäten und Kulturen zu fördern. "Wir haben dafür die ersten Hürden aus dem Weg geräumt."
Angebote für Organisationen: Keine Zeit mehr
Auch für Organisationen, die sich interkulturell öffnen wollten, bot Comparti umfassende Unterstützung. So wollte etwa das Internationale Zentrum IZDA die Begleitung des Öffnungsprogramms in Anspruch nehmen, doch leider bleibe nun keine Zeit. Durch die gemeinsame Durchführung von Bildungsveranstaltungen sowie die Förderung des politischen und bürgerschaftlichen Engagements wurde der Weg für eine offene und vielfältige Organisationskultur geebnet. Netzwerkbildung und Kooperationen stärkten die interkulturellen Beziehungen und trugen zur Entwicklung einer integrativen Gesellschaft bei. "Besonders mit den Stadtteilpiloten haben wir viel gearbeitet und uns gegenseitig Klienten vermittelt", erzählt Alexander Saavedra.
Es bleibt eine Lücke in Chemnitz
"Wir haben in Chemnitz eine Leerstelle gefüllt" so der Projektleiter Gregor Freytag. "Ein derartiges Angebot zur Unterstützung des gesellschaftlichen Ankommens von Migrant*innen gab es zuvor nicht und wird es vermutlich auch jetzt nicht mehr geben". Andere Angebote der Stadt seien nicht transparent genug oder ausreichend, um migrantische Communities wirklich zu erreichen. Diese Lücke wurde durch das Beratungsangebot von Comparti gefüllt.
Drei Jahre voller Höhepunkte
Für die Projektmitarbeiterin Maria Kramer waren Highlights von Comparti ihre Beteiligung beim "Tag des Flüchtlings 2024" in Chemnitz und die Kampagne "Bunte Stühle". Das Projekt "Bunte Stühle für Vielfalt" war eine Aktion gegen Rassismus, Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit. Gregor freute sich stets, wenn Comparti neue Vereinsgründungen oder neue Veranstaltungen von migrantischen Initiativen begleiten konnte. Auch ihre Mitwirkung an der "Heimspiel"-Fußballinitiative im Jahr 2024 oder Ausfahrten an Gedenkorte in der Region seien schöne Erfolge gewesen. Alexander hat sich besonders gefreut, dass Comparti eine Frau aus Venezuela bei der Gründung eines Kickingballvereins unterstützen konnte. Durch die Vermittlung zu anderen Sportvereinen hat sich mittlerweile eine 40-köpfige Frauengruppe gefunden, die gemeinsam kickt. "Das war eine tolle Überraschung für mich!" lacht Alexander.
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Rückblick: Veranstaltung "Demokratie und Beteiligung in Deutschland" von Comparti (Juni 2022). Foto: Comparti -
Rückblick: Interkultureller Sporttag von Comparti in der Powerhall Chemnitz (November 2022). Foto: Comparti
Ein Verlust für Chemnitz
Doch was bedeutet nun die Schließung von Comparti, die Aufkündigung von Demokratieprojekten und weiteren Beratungsstellen der Migrationsarbeit für die Stadt? "Der Pluralismus und unsere Vorstellung von Vielfalt werden geschwächt, wenn die Bevölkerung weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann", so Gregor Freytag. Dies stärke die rechte Dominanz im öffentlichen Diskurs, in ihrer Machtausübung und in der Besetzung öffentlicher Räume. "Je weniger zivile Akteur*innen öffentliche Räume nutzen, desto mehr Raum bleibt für die Rechten".
Weiteres Willkommensprojekt wird geschlossen
Das Projekt habe nicht nur die Stadt verbessert, sondern auch sein Team. "In den letzten drei Jahren habe ich viel gelernt und eine tiefere Beziehung zu Chemnitz aufgebaut", erzählt Alexander. "Vielleicht kann ich auch in Zukunft neue Initiativen für die Stadt entwickeln. Aber ich bin wirklich traurig, dass Comparti nicht weitergehen kann". Auch für die venezolanische Community sei das Projekt wichtig gewesen und habe viel Unterstützung geleistet. Zudem wird ebenso das Projekt Bienvenidos vom Sächsischen Flüchtlingsrat ab 2025 nicht länger gefördert, welchen speziell spanischsprachige Migrantinnen unterstützt hat.
Wie geht es weiter?
Das Comparti hofft weiterhin, dass es ein Folgeprojekt geben kann. Vor Mitte 2025 werde dies aber aussichtslos sein. Auch wenn Gregor die Stadt nun verlässt, hofft er, dass es in Zukunft wieder eine vergleichbare Anlaufstelle in Chemnitz geben wird. Im besten Fall erneut über den Träger AGIUA e.V., wo die mühevoll erarbeiteten Beziehungen, Erfahrungen und Materialien bereits vorhanden sind. "Die Stimmen migrantischer Communities und Initiativen müssen nachhaltig unterstützt werden und der Einsatz für Gleichberechtigung darf nicht im Sand verlaufen", so Freytag. Dafür brauche es unter den hiesigen Bedingungen bezahlte Stellen. "Für diese Arbeit braucht man Kontakte, man braucht den Austausch und eine offene Debatte in der Stadt. Von allein passiert diese demokratische Vergemeinschaftung nicht!".
"Chemnitz gibt einen Fick auf arme Menschen"
Im November kritisierte das Bündnis Chemnitz Nazifrei den Sparkurs "bei Unterstützungsangeboten für Frauen, Tiere in Not, demokratischer Teilhabe und vor allem bei Kindern und Jugendlichen". So könnten das Frauenzentrum Lila Villa, die Koordination der acht Bürgerplattformen, Schwimmbäder, das Bildungsticket, das Wildgatter oder die Umweltbibliothek dem Rotstift zum Opfer fallen. "Chemnitz gibt einen Fick auf arme Menschen" klagte das Bündnis Chemnitz Nazifrei in ihrem Beitrag bereits Mitte November.
"Chemnitz muss lebenswert bleiben!"
Der Stadtrat muss die Vorschläge zur Kürzung nun diskutieren. Das Bündnis Chemnitz Nazifrei forderte: "Chemnitz muss lebenswert bleiben! Für einen sozialen und gerechten Blick bei der Haushaltsplanung, für ein Chemnitz, in dem wir Alle gern leben!".
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Auch wenn Gregor Freytag die Stadt nun verlässt, hofft er, dass es in Zukunft wieder eine vergleichbare Anlaufstelle in Chemnitz geben wird. Foto: Elena O. -
"Für diese Arbeit braucht man Kontakte, man braucht den Austausch und eine offene Debatte in der Stadt. Von allein passiert diese demokratische Vergemeinschaftung nicht!". Foto: Elena O.