Deutschland schiebt ordentlich Überstunden: Allein in Chemnitz haben Beschäftigte im vergangenen Jahr rund 3,8 Millionen Stunden zusätzlich gearbeitet. Davon rund 2 Millionen Überstunden ohne Bezahlung. Das geht aus dem "Arbeitszeit-Monitor" hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gemacht hat. Demnach sei der Überstunden-Berg in der Gastronomie besonders hoch: 55.000 Überstunden, 53 Prozent davon zum Nulltarif. Die Pläne der Bundesregierung könnten die Situation nach Einschätzung der NGG noch verschärfen.
NGG warnt vor noch mehr Überstunden
Die Gewerkschaft warnt: "Der Überstundenberg in Chemnitz dürfte demnächst noch größer werden." Grund seien Pläne der Bundesregierung, die Arbeitszeit neu zu regeln:
"Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den 8-Stunden-Tag abschaffen. Betriebe könnten von ihren Beschäftigten dann verlangen, auch zehn, elf oder in der Spitze sogar 12 Stunden und 15 Minuten pro Tag zu arbeiten", sagt Thomas Lißner von der NGG Dresden-Chemnitz.
Arbeitsgesetz-Reform der Bundesregierung
Die NGG Dresden-Chemnitz schlägt Alarm: Schon jetzt betrage die maximale Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche. In der Spitze seien sogar 60-Stunden-Wochen möglich.
"Das sind Extrem-Arbeitswochen. Selbst wenn so ‚Hammer-Wochen‘ innerhalb eines Vierteljahres ausgeglichen werden müssen. Doch noch schlimmer wird es, wenn die Bundesregierung jetzt tatsächlich ans Arbeitszeitgesetz Hand anlegt und den 8-Stunden-Tag kippt.
"Das wäre Arbeitszeit-Stretching pur"
Dann würde nämlich nur noch das europäische Recht ein Wochen-Limit für die Arbeitszeit setzen. Und das wäre brutal: Arbeitgeber könnten ihre Beschäftigten dann sogar zu 73,5-Stunden-Wochen verdonnern - nämlich zu sechs Tagen mit je 12 Stunden und 15 Minuten im Job. Das wäre fast das doppelte Wochen-Pensum von heute - und damit Arbeitszeit-Stretching pur", so Lißner.
Arbeiten bis zum Limit
Der Geschäftsführer der NGG Dresden-Chemnitz macht seinem Ärger Luft: "Viele Arbeitgeber in Chemnitz würden das hemmungslos ausnutzen. Es drohen dann völlig überladene Arbeitswochen, bei denen man die Stunden, in denen man nicht schläft, fast komplett im Job oder auf dem Weg zur Arbeit verbringt. Das macht Menschen dann aber fix und fertig."
"Das ist wilde Zeit-Zockerei"
Außerdem würde dabei ein Riesenberg an Überstunden auflaufen: "Und ans Abfeiern der Überstunden ist sowieso nicht zu denken - bei dem Fachkräftemangel, der eigentlich überall herrscht." Lißner spricht von einem "Arbeitszeit-Monopoly" der Bundesregierung: "Das ist wilde Zeit-Zockerei. Für Beschäftigte bedeutet das: Arbeiten bis ans Limit - und darüber hinaus."
Gesundheit und Familie im Fokus
Der NGG-Geschäftsführer warnt auch vor den Folgen für die Gesundheit und die Familien: "Nach acht Stunden Arbeitszeit steigt die Gefahr von Arbeitsunfällen rasant an. XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche: von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bis zum Burnout", so Lißner. Außerdem im Fokus der Gewerkschaft: "Wer die Familie, den Beruf und die Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen müsse, brauche vor allem eines - planbare und verlässliche Arbeitszeiten. Und die müssten auch zu den Betreuungszeiten von der Kita und vom Hort passen. Denn wer holt die Kinder dort ab, wenn die Schicht zwölf Stunden geht?", fragt Lißner.
NGG: Aufweichung des 8-Stunden-Tags geht in die falsche Richtung
"Die geplante Aufweichung des 8-Stunden-Tages gehe in die falsche Richtung. Schon heute jonglierten Familien zwischen Job, Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen. Längere Arbeitstage verschärfen die Probleme und verhindern eine gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Pflege. Denn obwohl sich viele Väter wünschen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, wird durch noch längere tägliche Arbeitszeiten das Alleinverdienermodell gestärkt", warnt Thomas Lißner. "Anstatt das Fachkräftepotential von Frauen zu nutzen, verhinderten XXL-Schichten eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf."
Frauen besonders betroffen
Die NGG Dresden-Chemnitz nennt dazu auch Zahlen: "So werden aktuell 58 Prozent aller Teilzeit-Jobs in Chemnitz von Frauen gemacht." Die Gewerkschaft beruft sich dabei auf Angaben der Arbeitsagentur. Lißner appelliert daher an die Bundestagsabgeordneten aus Chemnitz und der Region, "dem Herumschrauben am Arbeitszeitgesetz in Berlin einen Riegel vorzuschieben." Schon jetzt seien flexible Arbeitszeiten im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes und durch Tarifverträge, die die NGG abgeschlossen habe, für viele Beschäftigte Alltag. "Noch mehr Flexibilität ist gar nicht nötig", so Lißner.
"10- oder 12-Stunden-Tage ersetzen keine Fachkräfte"
Abschließend stellt die Thomas Lißner klar: "Außerdem ersetzten 10- oder 12-Stunden-Tage keine fehlenden Fachkräfte. Gute Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, systematische Qualifizierung und mehr Ausbildung. Das sind die richtigen Hebel für mehr Fachkräfte. Verschiebereien bei der Arbeitszeit sind nichts anderes als das Löcherstopfen bei einer zu dünnen Personaldecke."
