Die drei großen Probleme der vierten Corona-Welle

Corona Steigende Fallzahlen trotz Impfung: Was absurd erscheint, hat logische Ursachen

War alles Impfen vergeblich? Angesichts der aktuell dramatisch steigenden Corona-Fallzahlen, der Vielzahl an Intensivpatienten und den täglich rund 100 Todesopfern stellen sich nicht wenige Menschen diese Frage. Fast alle Parameter sind diesen Herbst bereits jetzt höher als vor einem Jahr - und der Winter hat noch nicht einmal begonnen. Dabei sind bundesweit fast 67 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft. Doch das reicht längst noch nicht, um das Pandemiegeschehen in den Griff zu bekommen - vor allem im Freistaat Sachsen, wo die Impfquote mit 57 Prozent das bundesweite Schlusslicht darstellt. Dass so viele Menschen noch ungeimpft sind, rächt sich jetzt, wie die aktuellen Zahlen zeigen.

Problem Nummer eins: Aggressivere Variante

Trotz Impfungen gibt es aktuell mehr Todesopfer als im Vorjahreszeitraum. Wie kommt diese absurde Entwicklung zustande? Problem Nummer eins ist die Deltavariante, die momentan nahezu 100 Prozent aller Infektionen in Deutschland verursacht. Diese ist weitaus aggressiver als die Alphavariante, die im ersten Coronajahr das Pandemiegeschehen dominierte. Zwar stirbt aktuell von allen Neuinfizierten weniger als ein Prozent innerhalb weniger Wochen. Angesichts der hohen Fallzahlen ist laut Robert-Koch-Institut aber schon jetzt absehbar, dass in der zweiten Novemberhälfte die täglichen Todeszahlen bei 150 bis 200 liegen werden. Steigt die Zahl der Infektionen wie prognostiziert weiter, werden im Advent auch die Opferzahlen noch höher liegen.

Problem Nummer zwei: Noch zu viele Ungeimpfte

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten. Nein, alles Impfen war nicht vergeblich, denn Fakt ist: Auf den Corona-Intensivstation befinden sich nur sehr wenige Patienten, die geimpft wurden, also deren Verlauf man als Impfdurchbruch bezeichnet. Hier handelt es sich fast ausschließlich um vorerkrankte Patienten, die in irgendeiner Form einen Immundefekt haben und bei denen auch für andere Infektionen ein schwerer Verlauf zu erwarten wäre. Das bestätigt auch das Klinikum Chemnitz: "Die große Mehrheit der SARS-CoV-2-Infizierten in Krankenhäusern ist nicht vollständig geimpft, auf Normalstation sind es etwa 85 bis 90 Prozent, auf ITS sogar mehr als 95 Prozent", sagt Thomas Grünewald, Leiter der Klinik für Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum Chemnitz. Bei den ungeimpften intensivpflichtigen Patienten handelt es sich vor allem um Menschen im Alter zwischen 30 und 55 Jahren, die häufig keine besonderen Vorerkrankungen mitbringen. Das heißt: Ohne die Impfkampagne hätte die vierte Coronawelle das Land noch unweit härter getroffen und die fatalen Zahlen der zweiten und dritten Welle weit übertroffen. Im Gegenzug kann sich jeder ausmalen, wie die aktuelle Situation mit wesentlich mehr geimpften Menschen aussehen könnte.

Problem Nummer drei: Kinder nahezu schutzlos ausgeliefert

Das Szenario einer nahezu ungebremsten Welle ist bei Kindern unter 12 Jahren längst Realität. Um das Weihnachtsfest 2020 verteilten sich die Fallzahlen in allen Altersgruppen nahezu gleich. Kinder und Jugendliche waren durch die Schulschließungen sogar weniger betroffen. Dieses Jahr zeigt sich ein anderes Bild: Derzeit gibt es bei Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren fast doppelt so viele Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner wie bei den 15- bis 59-Jährigen und mehr als dreimal so viele wie in der Altersgruppe der Über-60-Jährigen. In der Altersklasse, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist, hat es das Virus also besonders leicht, sich zu verbreiten. Das wird sich in naher Zukunft - ohne Gegenmaßnahmen - vermutlich auch nicht ändern: Experten rechnen damit, dass eine EU-Zulassung des Impfstoffs von Biontech für Kinder unter 12 Jahren erst zum Jahreswechsel kommt. Es wird sogar davon ausgegangen, dass die Ständige Impfkommission mit einer Empfehlung noch länger warten werde. Derweil kritisieren Lehrerverband und Ethikrat die aktuelle Politik des "Augen-zu-und-durch". Lockerungen kämen zu einem Zeitpunkt, an dem Gesundheitsschutzmaßnahmen eher zu intensivieren seien, kritisierte der Chef des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, in der Rheinischen Post.

Das können ALLE an der Situation ändern

Das RKI empfiehlt zunächst dringend, das Impfangebot gegen COVID-19 wahrzunehmen und hierbei auf einen vollständigen Impfschutz zu achten. Auch die Möglichkeit der Auffrischimpfung (Boosterimpfung) sollte von Personengruppen genutzt werden, für die die Ständige Impfkommission dies empfiehlt. Weiter heißt es im Wochenbericht: "Insbesondere bei jetzt deutlich steigenden Fallzahlen sollten alle Menschen konsequent die AHA+L-Regeln - Abstand, Hygiene, Alltagsmaske + Lüften - einhalten, Situationen insbesondere in Innenräumen, bei denen sogenannte Super-Spreading-Events auftreten können, möglichst meiden und nicht notwendige Kontakte reduzieren." Das Wort "alle" wurde im RKI-Bericht fett markiert. Denn dieser Rat gelte unabhängig vom Impf-, Genesenen- oder Teststatus.

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