"Neue Wege zu alter Weisheit"

Jean-François Champollion gelingt vor 200 Jahren die Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphenschrift

Vor genau 200 Jahren hat der Franzose Jean-François Champollion (1790-1832) der modernen Welt einen wichtigen Zugang zu einer der ältesten und faszinierendsten Hochkulturen der Menschheit geöffnet. Dem Franzosen gelingt es im September 1822, die altägyptische Hieroglyphenschrift zu entziffern. Das Ägyptische Museum "Georg Steindorff" Leipzig erinnert mit der sehenswerten Ausstellung "Neue Wege zu alter Weisheit - 200 Jahre Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphen" an diese herausragende Leistung des Sprachwissenschaftlers.

Es ist eine der ältesten Schriften der Welt. Sie entstand gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. und war durchgehend etwa 3600 Jahre lang in Gebrauch. Spätestens im 6. Jahrhundert n. Chr. ging mit dem Ende der Antike jedoch auch das Wissen um diese alte Schrift verloren. Für etwa anderthalb Jahrtausende hüllte sich das Alte Ägypten in tiefes Schweigen. Im europäischen Mittelalter und der frühen Neuzeit genoss das Alte Ägypten den Ruf eines unerreichbar-märchenhaften Hortes alter Weisheit.

Bereits in jener Epoche versuchten manche, das Geheimnis der Hieroglyphen zu entschlüsseln. Der berühmteste ist der Jesuitenpater Athanasius Kircher (1602-1680). Der Universalgelehrte veröffentlichte 1636 eine Grammatik des Koptischen. Die Sprache, die heute noch in der Liturgie der ägyptischen christlichen Kirche verwendet wird, erkannte Kircher korrekt als die jüngste Sprachstufe des Altägyptischen. Als ihn 1665 Papst Alexander VII. beauftragte, einen in Rom befindlichen ägyptischen Obelisken zu untersuchen, scheiterte jedoch auch Kircher an einer Übersetzung der darauf eingemeißelten Hieroglyphen. Denn wie andere hielt er die altägyptische Schrift für eine reine Bilderschrift.

Ägypten rückt ins Bewusstsein der modernen Welt

Das Bild Ägyptens in Europa änderte sich Ende des 18. Jahrhunderts radikal. England kontrollierte in jener Zeit den wichtigsten Handelsweg nach Asien: den Seeweg um Südafrika in den Indischen Ozean, über den viele begehrte Waren nach Europa gelangten. Diese Vormachtstellung wollte Englands größter Konkurrent nicht hinnehmen. Die noch junge französische Republik schickte im Sommer 1798 eine Armee unter Befehl von General Napoleon Bonaparte nach Ägypten. Ziel war die Eroberung des Landes und die Schaffung eines Handelsweges durch Ägypten an die Küsten Nordostafrikas und von dort in die Häfen Asiens. Die französische Armee erzielte zunächst schnelle militärische Erfolge gegen die einheimischen Mamelucken. Allerdings unterlag sie bald der Übermacht Englands und der Türkei, die sich dem Ansinnen Frankreichs militärisch entgegenstellen. General Jacques-François Menou, inzwischen Oberbefehlshaber der französischen Armee in Ägypten, kapitulierte 1801 in Alexandria. Die Franzosen zogen aus Ägypten ab.

Militärisch war damit der Feldzug für Frankreich zu einem Fiasko geworden. Gleichzeitig wurde er aber auch quasi zur Geburtsstunde einer neuen Wissenschaft - der Ägyptologie. Denn das Expeditionskorps Napoleons hatten mehr als 150 Wissenschaftler und Gelehrte begleitet, die im Schutz der Armee das Land am Nil und dessen Kultur etwa drei Jahre lang erforschten und dokumentierten. Ergebnis dieser Arbeit ist die "Descripition de l'Egypte". Die Erstausgabe des Monumentalwerks erschien zwischen 1809 und 1828 in 23 Bänden. Das prächtige Werk löste nicht nur unter Fachleuten eine regelrechte Ägypteneuphorie aus.

Ein wichtiger Schlüssel zur Entzifferung der alten Schrift

Zu den Entdeckungen, die die französischen Forscher in Ägypten machten, gehört der sogenannte Rosetta-Stein. Leutnant Pierre François Xavier Bouchard und seine Männer finden den Stein im Juli 1799 bei Arbeiten in einem Fort in der Nähe der Stadt Rosetta (arabisch Raschid) an der westlichen Nilmündung. Der Stein stammt aus einer Epoche, in der in Folge der Eroberungen Alexanders des Großen (356-323 v. Chr.) die Ptolemäer - eine aus Makedonien stammende Dynastie - über Ägypten herrschte. Auf dem Stein steht ein Dekret, das im Auftrag einer ägyptischen Priestersynode, die im März 196 v. Chr. in der alten Hauptstadt Memphis tagte, in drei Sprachen eingemeißelt wurde. Das Dekret ehrt den jungen ägyptischen König Ptolemaios V. (204-180 v. Chr.) und rühmt ihn als einen Wohltäter des Landes. Den Hieroglyphentext und den Text in demotischer Schrift, die im 7. Jahrhundert v. Chr. als eine Kursivschrift der Hieroglyphen entstanden ist, konnte damals niemand lesen. Sehr wohl aber den dritten, in Altgriechisch abgefassten Text. Schnell wurde den Fachleuten klar, dass der Stein ein wichtiger Schlüssel zur Entzifferung der altägyptischen Schrift sein kann.

Der Durchbruch gelingt

Wie Kircher war auch Champollion davon überzeugt, dass die koptische Sprache, sprachgeschichtlich der Nachfolger des älteren Ägyptischen ist, so wie es beispielsweise auch das Italienische in Bezug auf das Latein der Antike ist. Zudem erkannte der Gelehrte, dass die Hieroglyphenschrift keine reine Bilderschrift ist, sondern aus Bilder- und Buchstabenschrift besteht. Eine Besonderheit der Hieroglyphenschrift ist, dass die Königsnamen in Kartuschen geschrieben wurden. Auf diese Weise gelang es Champollion, auf dem Rosetta-Stein zunächst den Namen Ptolemaios zu entziffern. Da die makedonischen und späteren römischen Herrscher Fremde in Ägypten waren, ging Champollion davon aus, dass deren Namen nur mit Hieroglyphen geschrieben sind, die als Buchstaben gelesen werden müssen. Von anderen Funden war ihm inzwischen auch der Name der Königin Kleopatra in Hieroglyphenschrift bekannt, den er in gleicher Weise entziffern konnte. Das von ihm entdeckte System versetzte ihn in die Lage, zunächst alle hieroglyphischen Namen der einstigen makedonischen und römischen Herrscher über Ägypten zu entschlüsseln.

Das Geheimnis der Hieroglyphen ist entschleiert. Seine Erkenntnisse legte Champollion in einem Brief an die "Académie des Inscriptions et Belles Lettres" in Paris dar. Am 27. September 1822 stellte Champollion seine Forschungsergebnisse auf einer Sitzung der Akademie vor. Schon ein Jahr später verfasste Champollion eine Gesamtdarstellung zur ägyptischen Schrift, die er am 29. März 1824 dem französischen König Ludwig XVIII. persönlich übergab.

Von August 1828 bis Dezember 1829 leitete Champollion eine französisch-toskanische Expedition, die ihn durch Ägypten entlang des Nil bis an den zweiten Katarakt bis Wadi Halfa führt. Bei diesem Unternehmen kann er seine Erkenntnisse zur Hieroglyphenschrift anwenden und überprüfen. 1831 wird für Champollion am Collège de France der weltweit erste Lehrstuhl für ägyptische Geschichte und Archäologie eingerichtet. Doch bereits im darauffolgenden Jahr, am 4. März 1832, stirbt Champollion im Alter von nur 41 Jahren an einem Schlaganfall.

Richard Lepsius setzt die Arbeit fort

In Deutschland setzte der in Naumburg geborene Richard Lepsius (1810-1884) die Arbeit von Champollion fort. Er konnte nachweisen, dass Champollions System der Entzifferung der Hieroglyphen im Grunde richtig ist. Lepsius erkannte zudem, dass es nicht nur Sinnzeichen (Bilder) und Einkonsonantenzeichen (Buchstaben) in der Hieroglyphenschrift gibt, sondern auch Silbenzeichen, das heißt Zwei- und Dreikonsonantenzeichen. 1866, auf seiner zweiten Ägypten-Expedition, findet Lepsius in Tanis im Ostdelta einen weiteren dreisprachig in Stein gemeißelten Priesterbeschluss. Auch mit diesen Texten kann er Champollions Ansatz zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift bestätigen.

Sehenswert

Die Sonderausstellung "Neue Wege zu alter Weisheit - 200 Jahre Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphen" kann bis zum 13. November im Ägyptischen Museum "Georg Steindorff", Kroch-Hochhaus, Goethestraße 2 in Leipzig besichtigt werden. Öffnungszeiten: Mittwochs bis freitags 13 bis 17 Uhr, samstags und sonntags und an Feiertagen 10 bis 17 Uhr. Montags und dienstags ist geschlossen.

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Friedhelm Hoffmann, Stefan Pfeiffer. Der Stein von Rosetta. Ditzingen 2021

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