Stefan Raab ist wieder da und er hat den ESC-Vorentscheid zur "Chefsache" gemacht. Was anfangs ganz in Ordnung anfing, mutierte dann aber im Laufe der Zeit zu einer Show, in der gewiss nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde. Aber gehen wir mal zurück zum Anfang der Geschichte.
Deutschen werden immer unzufrieden sein
Es ist der Eurovision Song Contest, der dieses Jahr am 17. Mai in Basel (Schweiz) stattfinden wird. Seit Jahren ist Deutschland ziemlich weit hinten in den Platzierungen des internationalen Musikwettbewerbs. Jahr für Jahr sind die Deutschen unzufrieden mit der Wahl des deutschen Acts - zumindest wenn man in die Kommentare der sozialen Netzwerke schaut - und das werden sie wohl auch immer sein. Doch wonach entscheidet sich, welcher Act geschickt wird? Schickt man den, der am besten singen kann? Den, der den besten Song hat oder doch den, der einfach die beste Performance macht? Am besten wäre wohl eine Mischung aus allen dreien. Zumindest sollte es ein Act sein, den man nicht vergisst, der bei den Menschen etwas auslöst und bei dem man nicht einschläft. Soweit so gut. Alles, nur nicht langweilig!
Publikum will mitbestimmen
Seit einigen Jahren, vor allem seit dem Eklat um Electric Callboy 2022, bettelt das Publikum danach, endlich "wirklich" mitentscheiden zu dürfen, wer für Deutschland antreten darf. Gewiss wurden vom NDR in den letzten Jahren immer Vorentscheide ausgetragen, wo am Ende das Publikum wählen durfte. Die Auswahl der Kandidaten war nur leider immer etwas unglücklich gelaufen, sie waren nicht schlecht, aber eben nicht ESC-passend, sodass das Publikum manchmal einfach nur das geringste Übel nahm. Mit Lord of The Lost wagte man sich in ein paar neue, metallische Gefilde, doch als das auch nicht ankam, kroch der NDR wieder zurück zu seichter Popmusik. Balladen gehen doch eigentlich immer, oder? Wenn es 2018 bei Michael Schulte für Platz 4 reichte, dann wissen wir doch, in welche Richtung es geht, oder? NEIN! Habt ihr gerade nicht zugehört? Nicht langweilig! Was vor 13 Jahren geklappt hat, ist heute keine Garantie mehr. Die Welt und auch der ESC haben sich weiterentwickelt.
10 Songs haben wir nicht einmal gehört
Dieses Jahr hat nun Stefan Raab unter der RTL-Flagge gemeinsam mit der ARD einen neuen Vorentscheid kreiert (ab nächstem Jahr übernimmt übrigens des SWR den Vorentscheid), der den peinlichen Titel "Chefsache ESC 2025 - Wer singt für Deutschland?" trug. Scheinbar steht Raab auf besonders lange Sendungstitel. *hust* Dass er sich gern selbst inszeniert, wissen wir ja schon. So kam es also dazu, dass er mit einer Jury gemeinsam aus über 3.000 Bewerbungen 24 Acts castete, die in vier Shows ihr Können zeigen durften, naja so halb zumindest. In den ersten beiden Shows durften die Acts irgendeinen Song singen, der nicht der Song ist, um den es eigentlich für den ESC gehen soll. Logo, warum sollte man auch den Song singen, um den es hier geht? Hä? Dann sind 10 Acts rausgeflogen, das heißt 10 potentielle ESC-Songs haben wir noch nicht einmal gehört.
Kandidaten-Auswahl in diesem Jahr immerhin viel stärker
In Sendung 3, in der dann noch 14 Teilnehmende übrig waren, hörten wir das erste Mal die wahren ESC-Bewerbungssongs. Daraus entschied die Jury um Stefan Raab erneut, wer ins Finale kommen sollte. Neun Acts sind dann am vergangenen Samstag in der ARD aufgetreten, wieder mit einem Coversong und danach noch, glücklicherweise, mit dem eigentlichen Lied. Die Auswahl war auch gar nicht so bescheiden. Also qualitativ war die Auswahl schon mal besser als die letzten Jahre. Es waren einige gute Künstler und vor allem auch sehr coole Bands dabei.
Merkwürdige Regeländerung
Dann stand endlich das Finale bevor. Im Publikum schwelgte die Hoffnung. Endlich durften sie in der 4. Show mitbestimmen… Ach ne, da wurde ja wieder was verändert! Nachdem groß angekündigt wurde, dass in Show 4 das Publikum alles in der Hand haben sollte, hat sich die Produktion dann scheinbar umentschieden. Vielleicht dachte sie, dass das zu heikel sein könnte. Da würde Raab ja einfach die Kontrolle weggenommen. Aus diesem oder welchem Grund auch immer hat die Jury dann am Samstag noch einmal eine Vorauswahl aus den 9 Acts getroffen.
5 Teilnehmende sollten dann endlich zum Voting gestellt werden. Wow. Als dann verkündet wurde, wer es bis dahin geschafft hatte, Entsetzen! Nicht nur in unserer ESC-Watchgroup. Auch im Internet ließen die Leute schon kurz vor der Show und dann mit Bekanntgabe der Acts, ihrem Frust zu den Regeländerungen freien Lauf. Viele der sehr beliebten Acts flogen im Vorfeld raus. Gefühlt ein Favorit blieb drin, zufälligerweise auch genau der Act, den Raab in den Himmel lobte und der später auch gewinnen durfte. Als ob es vorbestimmt war. Natürlich sind das reine Mutmaßungen.
Zum Glück gewinnt dann doch noch ein tolles Lied
Abor & Tynna waren gewiss mit unter den Favoriten, aber ein Beigeschmäckle hatte das Ganze schon ziemlich. Als habe man die ganze gute Konkurrenz "rausgekickt", damit dann auch mit Sicherheit Abor und Tynna gewinnen. Dass die beiden und keiner der anderen Acts gewonnen hat, rettete der Sendung dann irgendwie noch den Arsch. "Baller" ist nämlich einfach geil und ballert. Er wurde sogar als "bester Song" im Vorentscheid von der Jury genannt. Ich liebe das Lied und es zählte auch tatsächlich zu meinen Favoriten. Jedoch hat Tynna leider bei beiden Auftritten den Song nicht so gut gesungen. Die Aufregung schien ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen. Was soll dann erst beim ESC passieren? Nun hat sie ja noch knapp zwei Monate zum Üben.
Beigeschmack bleibt dennoch: Hätte das Publikum anders gewählt?
Ich hatte ja von diesem Beigeschmack durch die spontane Regeländerung gesprochen. Einige Favoriten wurden im Vorfeld rausgeschmissen, obwohl sie sehr beliebt gewesen waren. Hatten die Zuschauenden aus In- und Ausland doch auf einen anderen Act gehofft? Es kam so ein Gefühl in mir auf, als wolle man verhindern, dass ein Act, der am meisten gefeiert wurde, die meisten Aufrufe nach den Auftritten im Netz hatte und allgemein vielleicht am ehesten an den großen Electric Callboy-Hype herankam, den Vorentscheid gewinnen würde. Ein Act, der vielleicht am Ende doch noch den Sieg von Abor & Tynna ins Wanken hätte bringen können. Dieser Act wäre die Band Feuerschwanz aus Nürnberg geworden.
Konkurrenz ausgeschaltet
Die Band erhielt in Kommentaren und in sämtlichen Onlineportalen die meiste Zustimmung. Deutschland wollte scheinbar die lustigen Ritter nach Basel senden. Raab scheinbar nicht so gern. Er sagte zwar bereits im Vorfeld, dass er genau darauf achte, wie die Acts beim Publikum vor Ort und auch im Netz ankämen, aber obwohl die Band super ankam, ließ er sie nicht mit ins Publikumsvoting. Ich glaube, Raab war wahrscheinlich bewusst, wie das Voting hätte ausfallen können, wäre Feuerschwanz in die Top 5 gekommen. Bei mir kam der Gedanke auf, dass alle "edgy" Acts, die irgendeinen Wiedererkennungswert gehabt hatten, vorher aussortiert wurden. Ähnliches fühlte ich nämlich auch bei Cosby und From Fall To Spring. Schade für Feuerschwanz. Ich wünsche mir persönlich nächstes Jahr, wieder so eine tolle Auswahl und dass auch wirklich das Publikum mitbestimmen darf. Ansonsten drücke ich Abor & Tynna die Daumen, die einen megageilen Ohrwurm gezaubert haben.