Taylor Swift - Eine Antiheldin um Mitternacht

Anikas Albumrezension "Midnights" erschien am 21. Oktober

Anikas Albumrezension

Album-Review. Da ist es endlich, das zehnte (!) Studioalbum unserer Pop-Ikone Taylor Swift. Am heutigen Freitag, 21. Oktober, erschien "Midnights" via Universal/Republic. Produziert wurde es von Jack Antonoff und Aaron Dessner.  Passend dazu veröffentlichte die US-Sängerin heute die erste neue Single "Anti-Hero", aber alles auf Anfang.

Taylor Swift hat sich in den letzten Jahren genremäßig wirklich ausgetobt. Sie wanderte von ihren Countrywurzeln in den Pop, versuchte sich etwas düstererer mit teilweise Rapparts und kam während der Pandemie zum Indie und Folk. Wir wussten also nicht, was wir mit "Midnights" erwarten dürfen. Nun wissen wir es. Die Platte handelt von 13 schlaflosen Nächten, die Taylors Leben geprägt haben. Das Konzeptalbum beherbergt 13 neue Tracks in der normalen Version, 15+1 Stück in der extended "Lavender Edition" und 20 Lieder in der deluxe "3 A.M Version". Letztere kündigte sie spontan vergangene Nacht erst an. Inhaltlich dreht sich alles um das Verliebtsein und um Swifts tiefste Ängste.

Erwartung und Realität

Ich bin mit Taylor aufgewachsen und konnte mich bisher in jedes ihrer Alben einfühlen. Von "Midnights" habe ich tatsächlich eine traurige, ängstliche, depressive Platte erwartet. Die 32-Jährige ist in Abendmakeup mit einem Feuerzeug auf dem Cover zu sehen, als würde sie ihren Verstand um Mitternacht verlieren und einfach alles in Brand stecken. Überraschend war dann der Vibe, der irgendwie total anders war. Wir erhalten eine Popscheibe, die eine Mischung aus ihrem Vorgänger "1989" (auch das Cover hat ein bisschen Ähnlichkeit) mit den ruhigeren Songs von "Reputation" ist. Wir bekommen eine sexy selbstbewusste Taylor Swift, eine erwachsene Frau. Das Gefühl, was sich durch dieses Popalbum zieht, hatte ich bereits in der Vergangenheit bei den Liedern "Mirrorball" und "August" vom der CD "Folklore". Vielleicht hat "Mirrorball" ja den Grundstein für "Midnights" gelegt. Wer weiß?

Das Grundgefühl

"Midnights" ist insgesamt viel positiver, als erwartet. Natürlich geht es um Enttäuschung, Ängste, Liebe, Verlust, aber alles glitzert in diesem leicht-poppigen, weichen Gefühl von Nachhausekommen und beschützt sein. Als wäre am Ende einfach alles gut. Man merkt, dass Taylor langsam im Leben angekommen scheint. Wenig Spur von Rastlosigkeit. Melodisch und instrumental habe ich größtenteils einen 80s Dancefloor vor mir, wo Taylor an einem ruhigen Abend im Glitzerkleid beschwingt tanzt und sich wegträumt. Das liegt wahrscheinlich auch an den Synthies, die hier eingesetzt wurden. 

Die Antiheldin

 Aber nun zu den Songs. Es gibt einige Knaller auf dem Album. Dazu gehören für mich nach dem ersten Hören (Ich habe die Platte beim Schreiben dieser Review mindestens viermal komplett gehört) "Anti-Hero", "Maroon", "Mastermind" und auf jeden Fall "Snow on The Beach". Auch die anderen Lieder sind wirklich angenehm und verbreiten eine wohlfühlende Stimmung. Aber die genannten Lieder stachen für mich persönlich heraus, weshalb ich näher auf sie eingehen will.

"Anti-Hero" ist die erste Single des Albums und nachdem ich die Scheibe zwei-dreimal gehört habe, verstehe ich auch wieso. Man bekommt ein bisschen Gefühle aus einer anderen Zeit. Inhaltlich zeigt der Track Taylors Ängste. Wenn die Welt sie beschuldigt, die Böse zu sein, reicht das manchmal so weit, dass sie sich selbst fragt, ob sie nicht doch das Problem ist. Der öffentliche Druck kann auf eine Einzelperson mehr auswirken, als mancher denkt. Dennoch kommt das Lied beschwingter rüber als erwartet. Von Düsternis, Tragik oder Traurigkeit keine Spur. Eher Angst in einem poppigen und selbstironischen Kontext. Das ist interessant. Vielleicht tut sie das, damit sie nicht als "das arme Opfer, was immer nur rumjammert" gesehen wird. Auch das Musikvideo ist sehr selbstironisch und lustig, schaut es in jedem Fall an. 

Lana Del Rey als einziger Feature-Gast

Im Lied "Snow on The Beach" finden wir eine Zusammenarbeit mit Lana Del Rey, auch wenn diese nur im Hintergrund gesanglich unterstützt, was ich schade finde, ist es ein wirklich toller Song mit Ohrwurmpotential. Das Lied gibt mir ein bisschen das Gefühl eines Intros für einen Weihnachtsfilm. Es geht um ein neues Gefühl von Liebe. "Like Snow at the beach, weird but fucking beautiful" ist eine schöne Beschreibung von Verliebtsein. Man hört darin Töne, die wie fallende Schneeflocken klingen und man fühlt sich einfach warmherzig und schön.

"Maroon" ist die zweite Nummer des Albums und einer, der mir nachhaltig in Erinnerung blieb. Hier spürt man eine erwachsene Taylor, wie sie unschuldig in eine Liebe stolperte, die dann doch nicht hielt. Dieses Gefühl von Unbeschwertheit trägt sich durch die Melodie und der Track sticht sehr hervor.

Taylors Beziehung zu Joe Alwyn wird Thema

Für mich sticht "Mastermind" auch sehr aus dem Album heraus. Das Lied ist der letzte Song auf der "normalen" CD-Version. Er ist etwas eingängiger und handelt davon, wie eine Frau sich einen Plan schmiedet, um den Mann zu bekommen, den sie will. Einige würden ihn sicher manipulativ oder narzisstisch sehen, aber das klänge so böse, denn eigentlich kommt der Song wirklich sympathisch rüber und ich denke, jede Frau kann ihn irgendwie nachfühlen. Man spinnt sich da doch manchmal Pläne im Kopf zusammen, wie man in Kontakt mit der oder dem Auserwählten treten kann. 

Spannend finde ich auch, dass Taylor scheinbar ihre Beziehung mit Joe Alwyn, der ebenfalls an diesem Album mitgewirkt hat, thematisiert. Im Opener "Lavender Haze" geht es darum, wie die beiden damit umgehen, dass die Öffentlichkeit sich für jedes Detail ihrer Beziehung interessiert. Taylor möchte einfach nur in lavendelfarbenem Nebel mit ihm verweilen und schafft es durch ihn, diese Öffentlichkeit auszublenden.

"He was sunshine I was midnight rain"

Das ganze Album ist insgesamt sehr entspannt und ruhig, aber es gibt einige Songs, die langsamer in die Gemüter schleichen: "Labyrinth" und "Sweet Nothing". Gerade bei "Labyrinth" offenbart Taylor wieder eine Angst: Die Angst, dass etwas nicht hält, weil es zu schnell begonnen hat und die Welt nur darauf wartet, dass es wieder zerbricht. 

Es gibt wenige Dinge, die mich an diesem Album stören, aber eine Sache ist die animierte Computerstimme, die sich durchzieht und die im Refrain bei "Midnight Rain" am stärksten rauskommt. Hätte Taylor das Lied komplett selbst gesungen wäre der Track eine runde Sache für mich, aber so ist er gewöhnungsbedürftig. Man fragt sich, ob das ihre Stimme ist, die da verzerrt wurde oder doch eine männliche? Das Liederzählt die Geschichte, wie ein guter Mann es einst ernst meinte, aber die Protagonistin ihn und sein Leben zu langweilig fand und ihm das Herz brach. "He was sunshine and I was midnight rain". Irgendwie erinnert mich die Story an den Song "Champagne Problems" von Taylors Album "Evermore". Ob es sich um dasselbe Liebespaar handelt?

"You're On Your Own, Kid" ist ebenfalls eine Erwähnung wert, wie ich finde. Das Lied erzählt die Geschichte von einer jungen, unerwiderten Liebe und wie man sich von Liebeskummer ablenkt. Meist funktioniert das nicht. Das Lied ist supersüß und nachvollziehbar geschrieben. Am Ende ist man aber auf sich alleingestellt und muss den Kummer aushalten, bis er irgendwann vergeht.

"Karma is my boyfriend"

Das Album hat auch einige Songs, die wirklich anders sind, wo mich der Text auch sehr überzeugt hat. Diese möchte ich euch nicht vorenthalten. "Vigilante Shit" ist so ein Track, der auch gut als Metapher in verschiedene Richtungen gedeutet werden kann, aber die Sängerin tappt wieder auf den Spuren einer Detektivin, was letztlich in Selbstjustiz endet. "Bejeweled" ist einer der lauteren Songs und demonstriert die Stärke einer Frau und gerade Swift, die viele Leute oft fallen sehen wollen, zeigt, sie kann immer noch von innen heraus leuchten. Ähnliches wird auch in "Karma" thematisiert. Jeder bekommt, was er verdient. Witzig ist dabei, dass sie singt "Karma is my boyfriend". Der Text ist einfach insgesamt sehr witzig. Ich finde es gut, dass Taylor Sinn für Humor hat. 

In der 3 A.M. Album Version gibt es noch einige Lieder mehr, die außerhalb der "13 schlaflosen Nächte" stehen sollen. Ein sehr guter Track ist "The Great War", der zeigt, was Eifersucht, falsche Verdächtigungen in Beziehungen machen können.  "Bigger Than The Whole Sky" ist ein Lied über Abschied. Zwei Menschen, die nicht zusammengehören, aber es ist eben nicht todestraurig, wie wir es von All-Too-Well-Sängerin erwarten würden. Das Lied ist sehr angenehm und jeder kann sich sicher darin wiederfinden. Die restlichen Tracks der Extended Version haben mich bislang noch nicht so sehr abgeholt, aber wir haben heute Tag der Albumveröffentlichung. Vielleicht werde ich in ein paar Tagen ein Update hier hinein schreiben. :) 

Fazit: Erwachsen, selbstbewusst und doch verträumter als erwartet

Insgesamt geht "Midnights" in eine komplett andere Richtung, als die beiden Vorgänger "Folklore" und "Evermore", die ich wirklich sehr sehr gern mochte. Auch an "Reputation" kommt die Scheibe für mich (noch) nicht ran. Mal sehen, was das weitere Hören mit sich bringt, denn ich finde das Album wirklich trotzdem sehr gut. Und man muss der Musik auch Zeit geben, um sich zu entwickeln. Taylor liefert einfach immer ab. Ich würde "Midnights" aktuell auf dem Level von "1989" und "Lover" in meiner Liste ihrer coolsten Alben einordnen. Taylor zeigt sich selbstbewusst, selbstironisch und angekommen. Sie hat Ängste, die sie menschlich machen. "Midnights" erscheint viel verträumter als erwartet, was vielleicht auch mit der Nacht zu tun hat. Hier träumt man, hier leidet man, hier passieren alle Gefühle, manchmal auch alle auf einmal. 

Update, Montag, 24.10. 11 Uhr:

Gerüchten zufolge soll es sich beim Song "Bigger Than The Whole Sky" um eine Fehlgeburt drehen, welche Taylor erlebt haben soll. Was glaubt ihr? Der Text würde passen. Hier ist ein kleiner Ausschnitt:

"Did some force take you because I didn't pray? Every single thing to come has turned into ashes 'Cause it's all over, it's not meant to be So l'll say words I don't believe

Goodbye, goodbye, goodbye You were bigger than the whole sky You were more than just a short time And I've got a lot to pine about, I've got a lot to live without"

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