Wenn "Mental Health" für eine Universität ein Fremdwort ist

Jonahs Kommentar Während sämtliche sächsische Unis nach zwei Jahren wieder zur Normalität zurückkehren, bleibt sich die TU Chemnitz ihrem ängstlichen Kurs auf Kosten der Studenten treu

Jonahs Kommentar

"Können Sie die Folien jetzt sehen? Nein? Ach man..." Das ist nur einer von vielen Monologen, welche mittlerweile wohl jeder Student nur zur Genüge kennt. Während man also durch die Kamera und das Mikrofon des verzweifelten Dozenten die Klicke der Maus hört, welche das Problem schnell beheben sollen, sitzt man regungslos vor dem PC. Manchmal minutenlang. Klar, dann eben mal schnell das Handy in die Hand nehmen und schauen, was gerade so in der realen Welt passiert. Doch genau das sind diese Momente, wo man alleine in seinem Zimmer sitzt und anfängt zu zweifeln. Sieht so meine Vorstellung vom Studium aus? Erfüllt mich das? Und vor allem: Wird es jemals wieder normal sein?

Zwischen Hoffnung und Resignation

Ich erinnere mich noch genau, wie es anfing. Im Frühjahr 2020, als Corona endgültig Deutschland erreicht hatte und die Politik zu Maßnahmen zwang, welche davor als undenkbar galten. Läden, Schulen und eben auch Universitäten schlossen. Meiner Meinung nach übrigens auch zurecht, natürlich war das damals unumgänglich. Dies soll kein "Anti-Corona-Politik" Beitrag werden. Und vor zwei Jahren überwogen vielleicht bei den meisten Studenten auch die Glücksgefühle über die positiven Nebeneffekte des Beginns der "Online-Uni". Vorlesungen vom Bett aus, weniger Papierkram und generell mehr Flexibilität brachten zunächst einen weitaus entspannteren Alltag mit sich. Und auch die Prüfungsphase wurde von der Universität studentenfreundlicher gestaltet.

Doch wie gesagt, das ist eben schon zwei Jahre her. Dass sich seitdem viel geändert hat, muss ich wohl nicht erwähnen. Mittlerweile können wir dank Schnelltests, Impfungen und mehreren mobilen Testzentren (eines davon steht direkt auf dem Chemnitzer Campus) ein Leben auch mit dem Virus führen. Und so hoffte ich nach jedem Semester, dass das nächste doch bitte besser werden würde. Einfach normaler. Immer und immer wieder. Ich vermisste Dinge, von denen ich nie dachte, dass sie mir fehlen würden. Meine Kommilitonen regelmäßig zu sehen. Direkt vor dem Dozenten sitzen und mit ihm über Studieninhalte zu diskutieren. Mit Freunden gemeinsam in die Bibliothek oder auf den Campussportplatz zu gehen. Und natürlich das klassische "Studentenleben", um das mich einige meiner arbeitenden Freunde beneiden.

Ist das schon Ignoranz?

Und so gingen zwei Jahre ins Land. Das sind vier Semester, in dem man seine Kommilitonen und Professoren nur durch einen wenigen Quadratzentimeter großen digitalen Bildschirm sah. Und vier Semester, vor denen man immer die gleiche E-Mail ins Postfach gesendet bekommen hat. "Auch das nächste Semester wird wieder vollkommen digital stattfinden" stand dort jedes Mal. Doch dieses Mal gab es mehr Hoffnung als sonst. Bereits im November teilte unser Institut uns mit, dass man für das Sommersemester Lehre in Präsenz beantragt hätte. Ein absolut sinnvoller Schritt, so weiß man inzwischen, dass sich die Infektionszahlen im warmen Sommer natürlich verringern. Auf die verbesserten Rahmenbedingungen bin ich bereits eingegangen. Und für die Entwicklung eines weitreichenden Hygienekonzeptes, an dem sich mit Sicherheit jeder Student gerne beteiligen würde, sollte ja mittlerweile auch genug Zeit gewesen sein. Denkt man. Denn während sämtliche sächsische Universitäten und Hochschulen, wie beispielsweise die Universität Freiberg oder die Hochschule Zwickau, zum Normalbetrieb zurückkehren, vertröstet die TU Chemnitz ihre Studenten wieder mit einem "verstärktem hybriden" System.

Klingt nach Verbesserung? Nur oberflächlich, wenn überhaupt. Denn auch letztes Semester wurde solch ein "hybrides" System eingeführt, bei dem zumindest ein Teil der Veranstaltungen in Präsenz stattfinden sollte. Das Ergebnis meines Stundenplans: EINE Veranstaltung wurde TEILWEISE vor Ort angeboten, was wohl auch nur daran lag, dass es sich um einen Workshop handelte, welcher wirklich unmöglich von dem heimischen Sofa aus durchgeführt werden konnte. Ein geradezu frecher und ignoranter Schlag ins Gesicht für einen Studenten. Und nun eben ein ähnliches Spiel. Viele Studenten haben immer noch mehr als die Hälfte der Veranstaltungen rein digital. Den mit Abstand größten Teil der Lehre werde ich wieder alleine vorm PC verbringen. Von anderen Angeboten ganz zu schweigen. Als ich diese Woche auf den Campus-Sportplatz wollte, stand ich nur vor einer seit zwei Jahren geschlossenen Tür, mit einem Zettel, auf dem auf die aktuelle pandemische Lage verwiesen wurde. Mit mehreren hundert Menschen in den Club feiern gehen, ist aktuell kein Problem mehr, mit drei Freunden auf dem Fußballfeld ein bisschen Ballspielen ist aber wohl immer noch ein immenses Risiko in den Augen der TU. Spekulationen, ob es sich die Uni auch hier zu einfach macht, können in Betracht gezogen werden.

Mental Health? Scheint der Uni egal zu sein

Doch warum ist es mir so wichtig, wieder in die Universität zu dürfen? Wo doch viele Arbeitnehmer froh sind, ein Recht auf die Möglichkeit des Home-Office zu haben. Weil es nicht mehr geht. Das klingt jetzt plump, aber besser kann man meinen mentalen Zustand wohl auch nicht beschreiben. Die anonymen Zoom-Seminare, das miteinander für eine Gruppenarbeit über WhatsApp absprechen, das oft stundenlange Alleine-Sein in der Studentenwohnung. All das zerrt so unglaublich an den Nerven. Das Gefühl der Einsamkeit nimmt zu, während man automatisch Zukunftsängste entwickelt. Was, wenn ich das nicht aushalte und das Studium abbrechen muss? Eine Studie der Universität Heidelberg stellte genau das bei Studenten fest. 75 Prozent der befragten Personen gaben an, sich "nicht gut", "schlecht" oder "sehr schlecht" zu fühlen. Viele sagten, sich sozial isoliert und von der Politik ignoriert zu fühlen. Antriebs- und Motivationslosigkeit waren häufige Symptome. Das Gefühl der Hilflosigkeit ist praktisch immer vorhanden. Sogar Amazon machte in einem ihrer Werbespots darauf aufmerksam.

Das ist der TU Chemnitz um Rektor Gerd Strohmeier aber egal. Ging doch die letzten Semester auch, warum soll man das denn jetzt ändern? Wir können ja froh sein, dass man uns mit der abgeänderten Prüfungsphase entgegenkommt. Zumindest fühlt es sich so an. Gefragt werden die Studenten auch nicht. Die Gruppe, um die es geht, welche man ja angeblich nur schützen wolle, wird ignoriert. Stattdessen malt sich die TU die Welt der Vorlesungen und Seminare weiter so wie es ihr gefällt. 

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