Verschollen im Stollen. Es ist ein Fall, der in Sachsen und über dessen Grenzen hinaus seit Monaten für Aufsehen sorgt. Im Oktober 2024 wurden in einem Waldstück im Erzgebirge Rucksack und Fahrrad eines vermissten 34-Jährigen gefunden. Die durchgeführten Suchaktionen ergaben, dass Oliver K. wahrscheinlich in einen Stollen eingestiegen und verunglückt ist. 100-prozentige Gewissheit gibt es nicht, aber viele Indizien, die den Fall rekonstruieren lassen.
Der Tag als ein Fahrrad und ein Rucksack gefunden wurden
Der 34-jährige Oliver K. lebte in Annaberg-Buchholz und ging in seiner Freizeit dem Hobby des Mineraliensammelns nach. Dabei steigen die "Schatzsucher" teils unter lebensgefährlichen Bedingungen in alte Bergwerksstollen ab und suchen nach wertvollen Mineralien, manchmal mithilfe von Sprengmitteln. Am Dienstag, 8. Oktober 2024, wurden dann in einem Waldstück nahe eines Stolleneingangs im Erzgebirge ein Fahrrad und ein Rucksack gefunden, welche dem 34-jährigem Oliver K. einwandfrei zugeordnet werden konnten. Eine großangelegte Suchaktion begann.
Oliver K. wurde letztmalig am Sonntag, 6. Oktober, gesehen und galt seitdem als vermisst. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Schatzsucher in der Nacht zum 7. Oktober 2024 aufbrach, um einen alten Bergwerkstollen in Frohnau zu befahren und dabei verschüttet wurde. Dennoch wirft der Fall bis heute einige Fragen auf.
Die großangelegte Suchaktion beginnt
Nachdem die Gegenstände im Oktober gefunden wurden, wurde eine großangelegte Suchaktion gestartet. Im Einsatz waren neben der Polizei, der Bergbau- und Höhenrettungszug der Stadtfeuerwehr Annaberg Buchholz, das Oberbergamt Freiberg, die Bergsicherung Schneeberg, die Bergwacht Oberwiesenthal, das Landeskriminalamt, das Technische Hilfswerk (THW) Reichenbach, die Rettungshundestaffel "Sachsen-Ost" (17 Hunden und 17 Teams aus neun Staffeln, die das gesamte Gebiet absuchten.) Auch spezielle Gerätschaften wurden für die Suche verwendet, so wurden auch eine Kamera und Sonde über einen Lüftungsschacht eingelassen. Außerhalb des Stollens und im Umfeld des Vermissten ermittelte die Polizei ebenfalls, sichtete Videoaufnahmen des Vermissten, sprach mit Zeugen.
Im Wald konnten während der Suchmaßnahmen gelbe Gummistiefel festgestellt werden, die nach Ermittlungen nicht Oliver K. zugeordnet werden konnten. Freunde von ihm erzählten BLICK.de im Oktober, dass der Fund der Gegenstände merkwürdig sei, da Oliver K. immer darauf achtete, sein Fahrrad etwas im Dickicht zu verstecken und seinen Rucksack beim Einfahren immer dabei zu haben. Darin befänden sich Notrationen für eventuelle Notsituationen, die im Berg auftreten könnten.
Suchmaßnahmen werden eingestellt - Freunde wollen nicht aufgeben
Während der Suchaktionen im Kippenheimer Stollen fanden Einsatzkräfte dann eine Verbruchstelle, die darauf hindeutet, dass es, den Behörden nach, zu einer Sprengung gekommen war. Auch eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung in einer Plastikdose mit einer offenen Streichholzpackung, wurde im Stollen gefunden und musste von Spezialkräften entschärft werden. Außerdem hatte man Tage später Leichenspürhunde oberhalb des Stollens eingesetzt. Die Polizei berichtete am selben Tag vor Ort, dass beiden Hunde im Bereich des Verbruchs kein "deutliches Anzeigeverhalten gezeigt hätten."
Nach einer weiteren Begutachtung, ausgehend von der anderen Seite des Verbruchs des Kippenhainer Stollens, wurden die Suchmaßnahmen beendet. Aus diesem Grund waren hilfsbereite Schatzsucher selbst noch einmal bis zum Verbruch auf eigene Gefahr abgestiegen und dokumentierten das in Videoform. Sie erhofften sich, Oliver zu finden und 100-prozentige Sicherheit zu bekommen, dass er sich da befindet. Dass sich der Vermisste woanders aufhalten könnte, schloss die Polizei aus. Auch ergaben die polizeilichen Ermittlungen, dass es sich nicht um Suizid oder Einwirken Dritter handeln würde.
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Trotz der Gefahr, ja der Lebensgefahr, entschieden sie sich, den Verbruch zu beräumen und nachzuschauen, ob Olli darunter liegt. Zu dreiviertel haben sie ihn verräumt. Foto: privat
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In diesem Bergstollen soll Oliver K. verschüttet wurden sein. Heute ist der Eingang zugeschüttet. Foto: Niko Mutschmann
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Ein anderer Beteiligter betont: "Es ist und war immer so, es wird keiner einfach so im Berg zurückgelassen." Foto: Privat
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Untertage suchten freiwillige Schatzsucher nach Oliver K. Foto: Privat
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Die Schatzsucher fanden Gaffatape untertage. Foto: Privat
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"Natürlich waren wir uns der Gefahr bewusst. Wir wussten, dass es unsere letzte Einfahrt sein kann", so ein Schatzsucher bei der Suche nach Oliver K.. Foto: Privat
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Untertage suchten freiwillige Schatzsucher nach Oliver K. Foto: privat
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Untertage suchten freiwillige Schatzsucher nach Oliver K. Foto: privat
Bergung gilt als unverhältnismäßig
"Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass sich die vermisste Person unter dem Geröll im Verbruchbereich befindet. In Bewertung aller Informationen und Feststellungen muss davon ausgegangen werden, dass der Vermisste im stillgelegten Bergwerksstollen verunglückt ist", so die Polizei im Bericht vom 24. Oktober.
"Nach Einschätzung des Oberbergamts ist eine Bergung der Leiche nur durch das Anlegen einer bergmännischen Teufe möglich." Eine Bergung würde zwischen 380.000 bis 400.000 Euro kosten und müssten von der Familie des Vermissten getragen werden, hieß es von offizieller Seite. Aufgrund der Unverhältnismäßigkeit wurde sich dagegen entschieden, eine Bergung zu veranlassen. Dies wurde ausführlich in der Stadtratssitzung vom 24. Oktober erklärt.
Video der Stadtratssitzung Annaberg-Buchholz vom 24. Oktober 2024:
Ein Ort zum Gedenken wird geschaffen
Daraufhin wurde von der Stadt eine Sondergenehmigung vom Gesundheitsamt beantragt, dass der Bereich oberhalb des Stollens als Gedenkstätte von Oliver K. anerkannt werden kann. Die Stadt Annaberg-Buchholz betonte nochmals, dass alle relevanten Stollen und Schächte in der Umgebung im Rahmen der zweitägigen Suchaktion überprüft wurden. Nach Bewilligung des Antrags, wurde am 29. Oktober die Gedenkstätte mit Sondergenehmigung oberhalb des Bergstollens errichtet. Viele Bekannte und Freunde nahmen Anteil und legten Kränze, Bilder und Briefe nieder. Einige übten auch Kritik. Neben dem Stolleneingang stand ein Stock in den Boden gerammt. Ein Zeichen, das in der Community dafür steht, dass gerade jemand im Stollen ist. Ob dieser Stock nachträglich zur Ehrung, als Symbol oder Hinweis von anderen Schwarzfahrern angebracht wurde, ist unklar.
Diese Gedenkstätte bedeute jedoch nicht, dass Oliver K. offiziell für tot erklärt wurde.
Youtuber schlachten Fall weiter aus: Wildkamera-Aufnahmen zeigen Oliver K.
Nachdem verschiedene Youtuber seit Monaten den Fall auf der Plattform weiterverbreiten, regelrecht "ausschlachten" und neben der Eigenrecherchen auch Verschwörungstheorien verbreiten, kamen im Zuge dessen weitere Informationen zum Fall an die Öffentlichkeit. So zum Beispiel wurde bekannt, dass Oliver K. eine Wildtierkamera in seiner Wohnung hatte, die ihn in der Nacht vom 7. Oktober letztmalig filmte.
Auch die BLICK.de-Redaktion hatte Einsicht in die letzte Aufnahme von Oliver K., auf der zu sehen ist, wie er mit einer Wathose bekleidet, die Wohnung verlässt. Es stellt sich daraus folgend die Frage: Ist er wirklich mit einer Wathose mit dem Fahrrad zum Kippenheiner Stollen gefahren und abgestiegen, wie von der Polizei vermutet? Experten wissen, dass es nicht so einfach möglich ist, mit einer Wathose Fahrrad zu fahren. Möglich wäre auch, dass Oliver das Rad geschoben hat oder mit einem Fahrzeug abgeholt wurde.
Verbruch nicht komplett verräumt
Des Weiteren liegen BLICK.de die Informationen vor, dass der Verbruch, unter dem der Vermisste liegen soll, nicht komplett verräumt wurde, wie auf Youtube seit Monaten behauptet wird. Die Personen, die den Verbruch zum Teil verräumt hatten, waren auch nicht die engen Freunde des Vermissten, wie angegeben. Sie kannten Oliver nicht persönlich und waren gerade in der Umgebung, um in andere Stollen einzufahren, als sie am 29. November von Olivers Bekannten zur Hilfe gebeten wurden.
Videoaufnahmen Schatzsucher befahren den Stollen auf der Suche nach Oliver K.:
Sie haben den Verbruch dann am 29. November zu etwa Dreiviertel verräumt, wie auf selbst aufgenommenen Videoaufnahmen zu erkennen ist. Sie schätzen zwar ein, dass Oli nicht unter dem Verbruch liege, jedoch müsste dieser komplett verräumt werden, um dies zweifelsfrei sagen zu können. Auch waren Mitarbeiter vom Bergbau und der Höhenrettung am 2. Dezember noch einmal im Stollen, um sich den verräumten Bruch anzuschauen. Diese bestätigen ebenfalls, dass der Verbruch nicht komplett verräumt wurde.
Klopfgeräusche bereits im November vernommen
Bei den oben beschrieben privaten Suchmaßnahmen am 29. November fanden die herangezogenen Schatzsucher eine Patronenhülse und vernahmen zudem mehrfach Klopfgeräusche. Auf den Videoaufnahmen, die parallel untertage aufgezeichnet wurden, können diese Klopfgeräusche ebenfalls wahrgenommen werden. Die Klopfgeräusche und die Patronenhülse wurden nicht offiziell an die Polizei gemeldet. Woher die Klopfgeräusche kamen ist unklar. Eine Natursteinmauer ist zudem auf den Videoaufnahmen zu sehen, die sich direkt hinter dem Verbruch befindet, aus deren Richtung die Geräusche eventuell verortet werden könnten. Woher die Mauer kommt, ist ebenfalls nicht einwandfrei geklärt.
Videoaufnahmen zu den Klopfgeräuschen:
Videoaufnahmen der Natursteinmauer:
Ein kleines Indiz, dass Oliver doch unter dem Verbruch liegen könnte, gaben die Videoaufnahmen vom 24. November 2024, als ein enge Freund und sein Bekannter das erste Mal in den Stollen hinabstiegen und dies filmisch dokumentiert hatten. Hier äußert der Freund beim Klettern auf den Verbruch den Satz: "Hier riecht's nach Leich'".
Videoaufnahme des Zitats:
Zweifelsfreie Klarheit
Eines ist klar: Erst wenn der Verbruch sowie die Natursteinmauer komplett verräumt werden würden, würde zweifelsfreie Klarheit herrschen, ob sich der Vermisste dort im Kippenhainer Stollen befindet oder nicht. Dies ist jedoch sehr gefährlich und nicht mehr so einfach machbar, da der Zugang und der Tagbruch im Auftrag des Oberbergamts bereits zugeschüttet wurden.
Dass der Vermisste noch lebendig gefunden wird, ist unwahrscheinlich. Alle Indizien der Polizei sprechen dafür, dass Oliver K. im Stollen verunglückt ist. Würde er unter dem Gestein gefunden werden, müsste er per Gesetz geborgen werden. Bergungskosten müssen in solchen Fällen die Betroffenen und Hinterbliebenen in der Regel selbst zahlen. Wem Klarheit an der Stelle wirklich etwas bringen würde, wie auf Youtube derzeit gefordert, ist deshalb fraglich.
Die Familie des Vermissten äußerte im intimen Kreis, dass Oliver K. einen Wunsch hatte: "Wenn mit mir was passiert, lasst mich drin, ich will im Berg begraben sein."
Zeitlicher Ablauf zum Fall
- 7. Oktober: Oliver K. verlässt seine Wohnadresse und wir das letzte Mal lebend gesehen
- 8. Oktober: Ein Fahrrad wird erstmalig im Wald gesehen, was später Oliver zugeordnet wird
- 9. Oktober: Eine große Suchaktion beginnt. An einem Stolleneingang wird wieder das Fahrrad gesehen, dazu ein Rucksack und persönliche Gegenstände werden entdeckt, die Oliver zugeordnet werden können. Im Kippenheimer Stollen finden Einsatzkräfte eine Verbruchstelle und einen Sprengsatz, was zu einer Unterbrechung der Suche führt
- 10. Oktober: Fortsetzung der Suchaktion, THW-Fachgruppe Ortung kommt zum Einsatz und die Rettungshundestaffel (mit 17 Hundeteams, drei davon Trümmersuchhunde, 14 Flächensuchhunde) Alle bekannten Tagesöffnung (Stollen und Schächte) im Umkreis werden überprüft.
- 11. Oktober: Die Polizei geht vom Schlimmsten aus, dass er nicht mehr am Leben ist. Suchmaßnahmen auch außerhalb des Stollens, Freiwillige und Freunde von Oliver suchen eigenständig im Wald und finden gelbe Gummistiefel (die nicht zu Oliver K. gehören, wie sich im Nachgang herausstellte).
- 13. Oktober: Die Polizei sucht vor Ort den gesamten Wald um den Stollen herum noch einmal ab.
- 15. Oktober: Leichenspürhunde werden eingesetzt
- 23. Oktober: Suchmaßnahmen werden eingestellt
- 24. Oktober: Stadtratssitzung: Es wird bekannt gegeben, dass die Leichenspürhunde doch ein deutliches Anzeigeverhalten gezeigt haben.
- 29. Oktober: Gesundheitsamt erteilt Erlaubnis für Gedenkstätte am Stollen
- 24. November: Bekannte finden eine Wathose an einem anderen Stolleneingang, daraufhin steigen zwei Freunde das erste Mal eigenmächtig und auf eigene Gefahr in den Kippenhainer Stollen ein. Polizei gibt bekannt, dass kein Zusammenhang mit dem Fall Oliver K. besteht.
- Mehrere Suchaktion von Bekannten und anderen Schatzsuchern finden in den nächsten Tagen statt.
- 29. November: Ende der privaten Suchaktionen. Dabei wurden untertage Panzertape und eine Patronenhülse gefunden. Auch Klopfgeräusche waren untertage wahrnehmbar. Weder die Patronenhülse, noch die Klopfgeräusche wurden der Polizei gemeldet.
- 2. Dezember: Bevor der Stolleneingang zugeschüttet wurde, waren noch Mitarbeiter vom Bergbau und Höhenrettung im Stollen und haben sich die Verräumung des Verbruchs angeschaut. Dabei wurde festgestellt, dass der Verbruch nicht komplett verräumt wurde. Die Stadt Annaberg-Buchholz entschied, dass es keine neuen Anhaltspunkte gibt, um neue Suchmaßnahmen zu starten. Man geht weiterhin davon aus, dass Oliver K. im Stollen verschüttet ist. Im Auftrag des Oberbergamts wird ein Zugang und ein Tagbruch vom Kippenhainer Stollen verschlossen.