Ob beim Frühlingsspaziergang, auf der Joggingrunde oder beim Pilzesammeln im Herbst - die Wahrscheinlichkeit, hierzulande im Wald einem Wolf zu begegnen, steigt. Laut aktuellem Wolfsmonitoring leben in Deutschland bereits 209 Rudel (Stand: November 2024). Das sind zehnmal mehr Wölfe als noch vor zehn Jahren. Ein Fünftel der schätzungsweise 2.500 Tiere sind in Sachsen heimisch geworden. Doch was genau heißt das für Naturverbundene, die im Wald Erholung suchen oder mit ihrem Hund spazieren gehen? Welche Verhaltensregeln sollte man im Falle einer Begegnung kennen? BLICK.de fragte bei Polo Palmen aus dem Präsidium des Landesjagdverbandes Sachsen nach.
Meister der Anpassung
Die aktuelle Wolfspopulation in Deutschland wird auf rund 2.500 Tiere geschätzt. Der Deutsche Bauernverband geht aufgrund der durchschnittlichen Totfunde von Nutztieren sogar von bis zu 3.300 Tieren aus. Zum Vergleich: Schweden hat fast dreimal mehr Waldfläche, aber nur 300 Wölfe. Laut Ansicht der dortigen Behörden reichen sogar 170 Tiere für einen "guten Erhaltungszustand" aus. "In den Zahlen sehen Sie den Wahnsinn hierzulande", sagt Polo Palmen vom Landesjagdverband Sachsen. Der Experte spricht von einer "Idealisierung durch naturferne Großstädter", die mit der Realität wenig Einklang findet. "Wir haben es immer noch mit einem Großraubtier zu tun, einem Allesfresser." Zudem seien die Tiere Meister der Anpassung. "Wölfe können sich sehr gut mit ihrer jeweiligen Umgebung arrangieren", so Polo Palmen, der in der aktuellen Debatte um Gesetzesänderungen zur Regulierung des Wolfsbestands eine richtige Tendenz erkennt. Denn: "In dem Moment, in dem sich die Tiere ausbreiten, ohne dass Jäger die Möglichkeit zur Regulierung haben, wird die Begegnung natürlich wahrscheinlicher. Das ist die logische Konsequenz."
In der Regel dämmerungs- und nachtaktiv
Wie hoch diese Wahrscheinlichkeit ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Im Sommer sind die Wölfe beispielsweise besonders aktiv und jagen in Rudeln. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, einem Einzeltier zu begegnen, gering. Im Herbst steigt die Jagdintensität, der männliche Nachwuchs trennt sich von seinem Rudel, weshalb man tendenziell eher einem Einzeltier begegnet. Im Winter nimmt die Wahrscheinlichkeit noch einmal zu, da Wölfe aufgrund des Nahrungsmangels größere Gebiete durchstreifen und auch als Einzelgänger auf Nahrungssuche gehen. Die gute Nachricht: Wölfe sind in der Regel dämmerungs- und nachtaktiv und ziehen sich tagsüber zurück. Die Ausnahme: "Wenn Wölfe lange keine Nahrung gefunden haben, jagen sie auch am Tag. Der Mensch gehört nicht ins Beuteschema - das lesen wir überall. Aber der Wolf kann nicht lesen", lacht Polo Palmen und beschwichtigt: "Soll heißen: Vorsicht ist immer geboten. Aber besonders Hundehalter sollten ein wachsames Auge haben. Denn Hunde sind vermeintliche Wettbewerber und haben kaum eine Chance, dem Wolf Paroli zu bieten. Wenn die Haustiere bei so einer Begegnung nicht schnell genug an die Leine kommen, sind tödliche Konflikte vorprogrammiert. Solche Fälle hat es in jüngster Vergangenheit schon gegeben."
Begegnung mit dem Wolf: Wie verhält man sich richtig?
Vorweg: Im Normalfall machen Wölfe um den Menschen einen großen Bogen. Und ein Angriff ohne Vorwarnung ist nahezu ausgeschlossen. "Erst wenn der Wolf sich bedroht fühlt, wird es zu einer Verteidigungssituation kommen", sagt Polo Palmen. "Bei einer Begegnung ist es ratsam, Ruhe zu bewahren, den Wolf zu beobachten und abzuwarten, bis dieser sich zurückzieht. Wer sich unwohl fühlt, kann mit Blickrichtung zum Tier langsam den Rückzug antreten." Wird die Situation entgegen der Theorie doch brenzliger und der Wolf zeigt Zähne, dann sei es ratsam, sich mit den Armen groß zu machen und lautstark zu gestikulieren. Palmen: "Anders als bei Bedrohungen durch einen Raubfisch im Wasser sind wir an Land in unserem Element. Wenn es wirklich gefährlich wird, können wir uns hier am besten verteidigen, Steine werfen, auf Bäume klettern." Bei einer unverhofften Begegnung sollte nur eines unbedingt vermieden werden: plötzliches Wegrennen. Das könnte den Jagdreflex auslösen.