Skepsis begleitet "Atomic Heart" seit der Veröffentlichung der ersten Trailer, die ein Effekt-Spektakel sondergleichen in Aussicht stellten. Alles wirkte zu schön, um wahr zu sein. Nun ist der Ego-Shooter da - und die Grafik verkommt zur Nebensache. Stattdessen wird eine hitzige Debatte geführt über das russische Entwicklerstudio, Putin-nahe Geldgeber, Sowjet-Glorifizierung und ein richtig schlechtes bis geschmackloses Timing. Das Spiel erscheint nach fünf Jahren Entwicklungszeit mehr oder weniger zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ein Überblick.
Wer steckt hinter "Atomic Heart"?
Verantwortlich für "Atomic Heart" zeichnet das von Russen in Zypern gegründete Studio Mundfish, das aus rund 130 Kreativen aus zehn Ländern besteht - darunter auch aus der Ukraine. Die russische Herkunft ist für Kritiker allein Grund genug, zum Boykott aufzurufen - zumal es Medienberichte gibt, wonach in den ursprünglichen Nutzungsbedingungen gestanden haben soll, dass Userdaten an russische Behörden weitergegeben werden dürften. Mundfish selbst bezeichnete diese Anschuldigungen als falsch und betont, dass es sich dabei um veraltete Datenschutzbestimmungen handelte.
Was die Kontroverse ebenfalls anheizt: Russische Investoren sollen das Projekt mitfinanziert haben. Neben Tencent aus China und Nvidia treten Gaijin Entertainment und Gem Capital in Erscheinung. Letztgenannte Firma sei laut "Eurogamer" von Anatoliy Paliy gegründet worden, der zuvor für Gazprom gearbeitet haben soll. Gaijin Entertainment war ebenfalls bereits negativ aufgefallen: Eine ukrainische Zeitung unterstellte 2021, dass das Unternehmen russische Separatisten in der Ukraine finanziere. Verifizieren ließ sich diese Behauptung allerdings nicht.
Worum geht es in "Atomic Heart"?
"Atomic Heart" ist in einem alternativen Universum angesiedelt. Aus dem Zweiten Weltkrieg ist die Sowjetunion als alleiniger Sieger hervorgegangen und in Folge zu einer utopischen Supermacht aufgestiegen, die Städte fliegen lässt und nicht nur die Kolonialisierung ferner Planeten anstrebt, sondern auch die Verschmelzung aller Menschen und Maschinen zu einem Netzwerk namens "Kollektiv 2.0". Was, ohne zu spoilern, gehörig schiefgeht. Spieler und Spielerinnen schlüpfen in die Rolle eines zynischen KGB-Agenten, der - ausgestattet mit einem sprechenden HighTech-Handschuh - in einer Forschungsanlage nach dem Rechten sehen soll.
Sowjet-Glorifizierung oder Dystopie?
Eine Roboter-Parade unter roten Bannern, jubelnde Menschenmengen am Straßenrand der fliegenden Stadt Tschelomei und der wahr werdende kommunistische Traum von der Gleichheit aller Bürger: "Atomic Heart" wird vorgeworfen, die Sowjetunion zu glorifizieren. Das stimmt allerdings nur für kurze Zeit, denn schon bald droht in "Atomic Heart" das fiktive russische Großreich zu scheitern. Aus der Utopie wird Dystopie. Die Roboter werden zur Bedrohung, genetisch modifizierte Pflanzen verwandeln Menschen in zombieähnliche Mutanten. Die hochtechnologisierte Wohlstandsgesellschaft zerfällt, übrig bleibt eine lebensfeindliche Postapokalypse.
Auch das deutsche Fachmagazin "GamePro" gibt Entwarnung: Während des Durchspielens sei nichts aufgefallen, was als russische Propaganda zu bezeichnen wäre - "keine versteckten politischen Botschaften, keine Pro-Putin-Kommentare".
Wo steht der Entwickler politisch?
Während die russische Presse "Atomic Heart" - wenig überraschend - als prachtvolles Erzeugnis aus der Heimat und als Vision eines mächtigen Russlands feiert, versucht sich Entwickler Mundfish an einer anderen Lesart: "Wir versichern euch, dass wir ein globales Team sind, das sich auf ein innovatives Spiel fokussiert." Man sei zudem "zweifelsfrei eine Pro-Frieden-Organisation" und verdamme "Gewalt gegen Menschen". Auffällig jedoch: Die Entwickler vermeiden Begriffe wie "Krieg" und "Ukraine" in ihrem Statement. Und: Der Veröffentlichungstermin nach fünf Jahren Entwicklungszeit ist schlicht geschmacklos gewählt, fällt er doch nahezu auf den Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine.
Zumindest Komponist Mick Gordon setzte ein eindeutiges Zeichen: Das Geld für den Soundtrack spendete er an die ukrainische Division des Roten Kreuzes.
Das sagt die nationale und internationale Presse
Unabhängig von der moralischen Kontroverse um "Atomic Heart" ist die internationale Fachpresse recht angetan. Beim Meinungsaggregator "Metracritic" kommt der Shooter derzeit auf 75 von 100 Punkten. "Gaming Trend" nennt "Atomic Heart" euphorisch "einen Anwärter auf das Spiel des Jahres" und schwärmt gar von "einem der herausragendsten Titel des Jahrzehnts". Deutlich kritischer geht "The Gamer" ins Gericht: Hier nennt man das Spiel "völlig überladen" und unnötig in die Länge gezogen. "Gamesradar" missfallen die Kampfszenen und die Rahmenhandlung sowie "frustrierende Platformer-Passagen".
In der deutschen Medienlandschaft findet "PCGames" bei viel Lob auch "viele kleine Nervigkeiten" und einen großen Gamebreaker in der PS5-Version, der in der Mitte des Spiels den Fortschritt in der Story vollständig blockiert. "GamePro" kritisiert wiederum das "hakelige Kampfsystem", "nervige Bugs" und eine über weite Strecken "durchschnittliche Optik". Denn das versprochene Raytracing, bei der Ankündigung von "Atomic Heart" noch stolz als Feature genannt, sucht man im fertigen Spiel derzeit vergeblich. Ob es ein entsprechendes Update geben wird, ist unklar.
Der Shooter ist seit 21. Februar für PC, PlayStation 4 und 5 sowie Xbox One und Series X/S erhältlich. Zudem ist "Atomic Heart" im Xbox-Abo Gamepass enthalten.