Eigenständig genug?

Kinokritik "Arielle, die Meerjungfrau" Alles neu in der Unterwasserwelt? Nicht wirklich! Mit Halle Bailey hat in der aufwendigen Realverfilmung von Disneys Zeichentrickklassiker "Arielle, die Meerjungfrau" zwar eine Afroamerikanerin die Hauptrolle übernommen. Ansonsten folgt das Remake aber sehr eng dem Ursprungswerk.

Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Disneys Ankündigung, die Live-Action-Version des eigenen Zeichentrickklassikers "Arielle, die Meerjungfrau" mit der afroamerikanischen Sängerin und Schauspielerin Halle Bailey zu besetzen, sorgte im Netz für heftige Reaktionen. Aus der weißen Nixe des Originals von 1989 sollte nun eine schwarze werden - für viele Kommentatoren ein Skandal. Auch nach Veröffentlichung der ersten bewegten Promobilder im Herbst 2022 brach sich der Ärger Bahn und mündete sogar in der Kampagne #NotMyAriel. Wohlgemerkt, ohne dass irgendjemand den Film kennen konnte. Absurd sind die Diskussionen schon deshalb, weil es hier um eine Fantasy-Welt geht, in der doch eigentlich alles möglich sein sollte. Den Kritikern sei nun gesagt: Ruhig Blut! Denn in vielen Punkten klammert sich das fertige Remake sehr eng an die von manchen offenbar als unantastbar erachtete Vorlage.

Wer den Trickfilm gesehen hat, darf handlungstechnisch keine großen Überraschungen erwarten: Die von Bailey einnehmend gespielte Arielle ist die jüngste der sieben Töchter des Unterwasserkönigs Triton (Javier Bardem). Anders als ihre Schwestern, die den Regeln des strengen Vaters folgen, verspürt sie eine Sehnsucht nach der Welt der Menschen, interessiert sich für all die Dinge, die aus diesem Universum in ihr Reich hinabsinken. Seit dem Tod seiner Ehefrau, der von Landbewohnern verursacht wurde, trägt Triton einen tiefen Groll in sich und verbietet Arielle jeglichen Kontakt mit den Menschen.

Schicksalhafte Begegnung

Ihre Neugier treibt sie allerdings immer wieder an die Wasseroberfläche. So auch eines Abends, als der abenteuerlustige Prinz Eric (Jonah Hauer-King) an Bord seines Schiffes mit der gesamten Mannschaft seinen Geburtstag feiert. Ein tosender Sturm und ein ausbrechendes Feuer bringen die ausgelassene Meute dann aber in große Gefahr. Kurzerhand rettet Arielle Eric vor dem Ertrinken und kriegt den jungen Mann fortan nicht mehr aus dem Kopf. Ihr Wunsch, ihn wiederzusehen, spielt ihrer hinterlistigen Tante Ursula (Melissa McCarthy) in die Karten. Einst von Triton verbannt, wartet sie nur auf ihre Chance, sich zu rächen, und schlägt Arielle einen Deal vor: Im Tausch gegen ihre wunderschöne Stimme will Ursula der Meerjungfrau Beine schenken, damit sie Eric als Mensch entgegentreten kann.

Eindrucksvolle Bilder liefert die von Rob Marshall ("Mary Poppins' Rückkehr") verantwortete Neuverfilmung in großer Zahl. Mit "Avatar: The Way of Water" kann die Darstellung der Unterwasserwelt zwar nicht mithalten. Verführerisch und staunenswert sind die Meeresimpressionen dennoch. Schon sehr früh folgt man in einer ausgedehnten Szene einem Fernrohr, das ins Wasser fällt und langsam immer tiefer sinkt. Fische und Pflanzen sind liebevoll gestaltet und erstrahlen zum Teil in herrlicher Farbenpracht.

Sehr deutlich werden die Verlockungen von Arielles Welt, wenn ihr Freund und Begleiter, die Krabbe Sebastian (Originalstimme: Daveed Diggs), eine der ikonischsten Musical-Einlagen des Ursprungsfilms wiederaufleben lässt. Der Titel "Unter dem Meer" und einige andere Lieder des Zeichentrickklassikers haben ihren Weg ins Remake gefunden und versprühen noch den alten Charme. Für frischen Wind sorgen neue Songs. Hervorstechend ist hier vor allem eine Rap-Nummer, die Sebastian und der Basstölpel Scuttle (Originalstimme: Awkwafina) zum Besten geben.

Heiter bis düster

Diversität halten die Macher hoch, nicht nur in der Besetzung der Hauptrolle. Auch sonst sind dunkelhäutige Figuren sehr präsent. Kein Wunder, ist die Handlung doch offenbar rund um eine fiktive karibische Insel angesiedelt. Hier und da kippt der Film in der Zeichnung seines Settings zu sehr ins Klischeehaft-Exotische, kreiert ein Strandfeeling, wie man es aus plakativ-heiteren Werbestreifen kennt. In starkem Kontrast zu eben diesen Momenten stehen die düsteren Szenen mit Arielles durchtriebener Tante Ursula. Melissa McCarthy spielt sich in der Rolle der Antagonistin regelmäßig in den Vordergrund und umgibt sie mit einer bedrohlichen Aura, die kleine Zuschauer durchaus verängstigen könnte. Spätestens im Showdown wird Ursula unter exzessivem Effekteinsatz zu einem echten Monster.

Die Balance zwischen finsteren und freundlichen Tönen stimmt manchmal nicht. Irritierender ist allerdings etwas anderes: Wie viele Hollywood-Produktionen der jüngeren Vergangenheit bildet "Arielle, die Meerjungfrau" Vielfalt in der Besetzung ab, überträgt sie jedoch nur halbherzig in die Erzählung. Arielles Schwestern, die ethnisch unterschiedliche Hintergründe haben, sind nicht viel mehr als bloßes Beiwerk. Und auch die Biografie Erics, der als Weißer in der Obhut der schwarzen Königin Selina (Noma Dumezweni) aufwuchs, wird lediglich stichwortartig abgehakt. Dass Disney Halle Bailey als Protagonistin gecastet hat, ist schön. Warum aber gibt man der Figur, die einen Emanzipationsprozess durchläuft, oder der Handlung nicht noch ein paar neue aufregende Facetten? Arielle schmachtet vielleicht zwischendurch weniger als im Original. Das meiste fühlt sich jedoch vertraut an. Und am Ende darf das große Hollywood-Pathos nicht fehlen. Den Geist der Vorlage beibehalten, sich gleichzeitig von ihr lösen - mit diesem Spagat tut sich die Realverfilmung leider etwas schwer.

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