Geburt eines Kinomagiers

"Die Fabelmans" Inspiriert von seiner eigenen Kindheit und Jugendzeit erzählt Steven Spielberg in seiner neuen Regiearbeit "Die Fabelmans" von der Magie des Kinos, aber nicht nur das. Auch das Auseinanderbrechen seiner Familie ist Thema dieses bemerkenswerten Films.

Mit "Der weiße Hai" hat er uns das Fürchten gelehrt. Mit "E. T. - Der Außerirdische" hat er uns zu Tränen gerührt. Und mit "Jurassic Park" hat er uns ein Staunen ins Gesicht gezaubert. Die Rede ist von Steven Spielberg, dem wohl prägendsten Filmemacher der letzten 50 Jahre. Ein Regisseur, der wie nur wenige andere technische Finesse mit maximaler emotionaler Ausdruckskraft verbinden kann.

Mit "Die Fabelmans" legt der jüngst auf der Berlinale für sein Lebenswerk ausgezeichnete Hollywood-Gigant nun seine wahrscheinlich persönlichste Arbeit vor. Inspirationsquelle des Coming-of-Age-Streifens sind seine eigene Kindheit und Jugendzeit. Lebensphasen, in denen seine Kinoleidenschaft entstand. Abschnitte, die sein späteres Schaffen stark beeinflussen sollten.

Faszination Film

Spielbergs Alter Ego hört auf den Namen Sammy Fabelman (Mateo Zoryan Francis-DeFord) und spürt die Macht der großen Leinwandbilder erstmals im Jahr 1952, als er mit seinen Eltern eine Vorstellung von Cecil B. DeMilles Zirkusdrama "Die größte Schau der Welt" besucht. Der darin vorkommende Zusammenstoß zweier Züge lässt den kleinen Jungen nicht mehr los und wird mit einer Spielzeugeisenbahn und der Kamera seines Vaters Burt (Paul Dano) akribisch nachgestellt. Warum? Weil Sammy die Kontrolle über seine Angst gewinnen muss, wie seine musikalisch begabte Mutter Mitzi (Michelle Williams) erkennt.

Vor allem sie ist es, die ihren Sohn rückhaltlos in seiner neu entdeckten Filmleidenschaft bestärkt. Mithilfe seiner Schwestern entstehen erste kleiner Amateurwerke. Schon als Teenager inszeniert Sammy (nun gespielt von Gabriel LaBelle) zusammen mit seinen Freunden anspruchsvollere Kurzfilme, während er zugleich den Alltag der Fabelmans dokumentiert. Irgendwann erkennt der Jugendliche allerdings, dass seine Familie auseinanderzubrechen droht. Die unter manisch depressiven Schüben leidende Mitzi ist in ihrer Ehe mit dem oft in sich gekehrten, auf seine Karriere fokussierten Burt nicht mehr glücklich. Ein Umzug von Phoenix nach Kalifornien bringt außerdem neue Frustrationen mit sich. In der Schule ist der Jude Sammy plötzlich heftigen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt.

Das Leben und der Film sind zwei unterschiedliche Dinge, heißt es an einer Stelle. Und doch betont Spielberg vor allem die Verbindungslinien. Wer Hintergrundberichte zu "E. T. - Der Außerirdische" gesehen oder gelesen hat, weiß, dass der Regisseur darin auch den Schmerz über die Trennung seiner Eltern verhandelt. Das Kino ist für ihn eine Art therapeutisches Instrument, das reale Ängste und Enttäuschungen lindern und verstehen hilft.

Film als Wahrheitsvermittler

In einer einprägsamen Szene gegen Ende unterstreicht "Die Fabelmans" auch die manipulative Kraft der Bilder. Sammys Zusammenstellung von Aufnahmen eines Schulevents am Strand inszeniert ausgerechnet einen seiner ärgsten Mobber (Sam Rechner), Typ muskelbepackter Sonnyboy, als grandiosen Überflieger - was dem braungebrannten Schönling spürbar unangenehm ist. Der beim Abschlussball gezeigte Streifen habe aus ihm etwas gemacht, dem er nicht gerecht werden könne, gesteht er in einem überraschend verletzlichen Moment.

Wie eng das Filmemachen und die Wirklichkeit in Spielbergs Augen zusammenhängen, kommt zudem in einer der ergreifendsten Passagen zum Vorschein. Erst durch den Blick auf das bei einem Familienausflug gedrehte Material erkennt Sammy merklich schockiert, dass es um die Beziehung seiner Eltern schlecht steht. Das Homevideo enthüllt eine ihm bislang verborgene Wahrheit, die das Verhältnis zu seiner Mutter fortan belastet.

Wenig verwunderlich bilden die Diskussionen zwischen dem Jugendlichen und Mitzi das emotionale Zentrum des Films. Schon zu Beginn versucht sie, ihren Sohn auf der Ebene des Gefühls abzuholen. Vater Burt, von Beruf Ingenieur, will Sammy die Furcht vor dem ersten Leinwanderlebnis nehmen, indem er ihm die technischen Aspekte erklärt. Mitzi hingegen spricht vom Kino als einem Ort der Träume.

Michelle Williams brilliert

Dass "Die Fabelmans" berührt und mitreißt, ist nicht zuletzt einem vorzüglichen Ensemble zu verdanken. Aus diesem sticht Michelle Williams noch einmal heraus, da sie die schwierigste Rolle scheinbar mühelos meistert. Sammys Mutter, die ständig zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt pendelt, hätte eine schrille Karikatur werden können. Williams aber legt sie als komplexe, lebensechte Persönlichkeit an und ist Garantin dafür, dass die familiären Probleme tief unter die Haut gehen. Das ganze Können der Darstellerin manifestiert sich in einem geradezu gespenstisch quälenden Blick, den Sammy mit seiner Kamera bei einer Besichtigung des neu gebauten Heims in Kalifornien einfängt. Ihr Gesichtsausdruck verrät genug, um mit einem höchst wirkungsvoll gesetzten Schnitt zu dem Moment zu springen, in dem Mitzi und Burt ihren Kindern von ihren Trennungsabsichten berichten.

Handwerklich ist "Die Fabelmans" - erwartungsgemäß, möchte man fast sagen - über jeden Zweifel erhaben. Schwungvoll arrangiert Spielberg etwa den Dreh seines 40-minütigen Kurzfilms "Escape to Nowhere" (1962) und führt dem Publikum vor Augen, wie erfindungsreich er als Teenager mit geringen Mitteln eine Schlacht zwischen deutschen Truppen und US-Soldaten während des Zweiten Weltkriegs in den Kasten brachte. Lobende Worte verdient auch das detailverliebte Szenenbild von Rick Carter, das die 1950er- und 1960er-Jahre glaubhaft wiederauferstehen lässt.

Technische Finesse, erzählerische Nuancen und starkes Schauspiel - eindrucksvoll zeigt der Film, aus welchen unterschiedlichen Facetten packendes, nachhallendes Kino entsteht. Amüsant ist in diesem Zusammenhang die Schlussnote. Als der Protagonist auf die Leinwandlegende John Ford trifft, wunderbar knorrig verkörpert von einem bekannten Regieexzentriker, bekommt er eine simple Filmweisheit mit auf den Weg: Erscheint der Horizont oben oder unten im Bild, ist das Ganze interessant, erscheint er in der Mitte ist es scheiße langweilig! Wie dem auch sei, Letzteres gilt für "Die Fabelmans" definitiv nicht!

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