Geburt eines Tyrannen

"Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds & Snakes" Coriolanus Snow, Oberbösewicht der "Tribute von Panem"-Reihe, wird im Prequel zur Hauptfigur und muss als junger Mentor eine aufmüpfige Sängerin durch die Hungerspiele begleiten. Zwischen Charakterstudie und Survival-Action pendelnd, gerät die Romanverfilmung etwas holprig.

Wie entstehen Schurken? Was lässt unbescholtene Menschen oder Wesen zu skrupellosen Schreckfiguren werden? Dieser Frage spürten in den letzten Jahren einige Hollywood-Produktionen nach. "Maleficent - Die dunkle Fee" (2014) etwa erforschte die Ursprünge der Antagonistin aus Disneys Zeichentrickklassiker "Dornröschen" (1959). Auch die fiese Cruella de Vil, die in "101 Dalmatiner" (1961) Angst und Schrecken verbreitete, bekam mit "Cruella" (2021) einen eigenen Origin-Film spendiert. Nicht zu vergessen: Todd Phillips' kontrovers aufgenommenes DC-Psychodrama "Joker" (2019), das die Geburt von Batmans Erzfeind stimmungsvoll bebildert.

In dieselbe Kerbe schlägt auch der Blockbuster "Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds & Snakes", der auf einem Roman der US-Schriftstellerin Suzanne Collins basiert. Coriolanus Snow, oberster Bösewicht ihrer erfolgreich verfilmten Buchtrilogie rund um die tapfere Überlebenskämpferin Katniss Everdeen (im Kino verkörpert durch Jennifer Lawrence), steht dieses Mal im Zentrum des Interesses und vor der Entscheidung, welchen Weg er einschlagen möchte.

Snow als aufstrebender Jugendlicher

War er in den vier bisherigen "Tribute von Panem"-Filmen ein alter Mann (gespielt von Donald Sutherland), der als Präsident über den dystopischen Staat Panem herrschte und im Kapitol, der Hauptstadt des Reichs, residierte, ist er im Prequel ein ehrgeiziger Teenager. Darauf brennend, das Ansehen seiner einst ruhmreichen Familie wiederherzustellen. Drei Jahre vor Beginn der sogenannten Hungerspiele, bei denen jeder der zwölf Panem-Distrikte ein Mädchen und einen Jungen als Tribut für einen live ausgestrahlten, mörderischen Wettkampf stellen muss, erfährt der kleine Coriolanus vom gewaltsamen Tod seines Vaters.

Rund 13 Jahre später steht Snow (Tom Blyth), so glaubt er zumindest, vor einem wichtigen Etappenerfolg. Seine guten Leistungen in der Akademie des Kapitols sollen ihm das begehrte Plinth-Stipendium sichern, mit dem er Zutritt zur elitären Universitätswelt erlangen würde. Das Daumendrücken seiner Cousine Tigris (Hunter Schafer) und seiner Großmutter (Fionnula Flanagan) ist jedoch umsonst. Denn zum zehnten Jahrestag der Hungerspiele gibt es statt der Preisverleihung eine knifflige Aufgabe für die anwesenden Karrieristen.

Coriolanus und seine Mitstreiter, darunter sein Freund Sejanus Plinth (Josh Andrés Rivera), Sohn des reichen Prämienstifters, sollen als Mentoren jeweils einen der 24 Tribute aus den Distrikten betreuen und ordentlich die Werbetrommel rühren. Wie Dekan Casca Highbottom (Peter Dinklage) mit Nachdruck ausführt, steht die alljährliche Volksbelustigung um Leben und Tod nämlich wegen schlechter Zuschauerzahlen auf der Kippe. "Keine Quote, keine Zukunft!", lautet das vertraut klingende Motto. Längst geht es nicht mehr nur um den Sieg, sondern auch um eine gute Show. Daran lässt Dr. Volumnia Gaul (Viola Davis), die oberste Spielmacherin von Panem, keinen Zweifel. Ideen sind gefragt, die das Event wieder zu einem Massenphänomen machen.

Von unten nach oben

Coriolanus wird eine junge Frau namens Lucy Gray Baird (Rachel Segler) aus Distrikt 12 zugeteilt. Für Aufsehen sorgt sie gleich während der Ernte, der Zeremonie, bei der bekannt gegeben wird, wer ums sein Leben kämpfen muss. Lucy Gray drückt ihre Verachtung für die Hungerspiele in einer Gesangsperformance aus, die Snow beeindruckt. Nach ihrer Ankunft im Kapitol bemüht er sich um PR-Aktionen und bereitet sie auf das Grauen in der Arena vor. Ihr erhoffter Triumph soll Snow der Spitze endlich ein Stück näher bringen.

Was schon früh ins Auge sticht: "Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds & Snakes" will nicht nur dystopisches Abenteuerkino sein, sondern auch fesselnde Charakterstudie. Visuell unterstreichen Regisseur Francis Lawrence und Bildgestalter Jo Willems diese Ambition durch den häufigen Einsatz von Nahaufnahmen. Regelmäßig füllen Gesichter die Leinwand aus und schaffen eine intime Atmosphäre. Den Eindruck der Enge verstärkt der mitten im Kapitol liegende Austragungsort der Spiele. Anders als in den vorangegangenen Reihentiteln dient hier, da der perfide Contest noch in den Kinderschuhen steckt, kein weitläufiges Naturareal als Kampfzone. Vielmehr hetzen Lucy Gray und ihre Leidensgenossen durch einen Rundbau, der an das Kolosseum in Rom erinnert.

Leitmotivisch verwendet Lawrence zudem die Froschperspektive, den Blick der Kamera aus einer Untersicht. Was inhaltlich durchaus Sinn ergibt. Immerhin dreht sich fast alles um Macht, Ansehen und Prestige. Der Protagonist will hoch hinaus, ist anfangs aber noch in einer Position, von der aus er nach oben schauen muss. Dorthin, wo es ihn mit jeder Faser seines Körpers hinzieht.

Erzählerischer Schlingerkurs

Optisch findet der Film interessante Lösungen. Spannung und Intensität lassen im Mittelteil jedoch immer wieder nach, weil das Drehbuch (Michael Arndt, Michael Lesslie) seine Ideen nicht überzeugend verbunden bekommt. Lucy Grays Gegner in der Arena bleiben profillose Berserker, denen der Dreck aus jeder Pore kriecht, während die Sängerin die meiste Zeit wundersam adrett aussieht. Die neu entfachte Begeisterung des Publikums für das Event vermittelt sich nur bedingt. Und auch die besonderen Leistungen der Mentoren werden nicht wirklich greifbar.

Schwung ins Geschehen bringen dafür einige saftige Performances in den Nebenrollen. Oscar-Preisträgerin Viola Davis, ausgezeichnet für ihren Auftritt in "Fences", kostet ihren Part als manipulative, ruchlose Strippenzieherin mit einer Vorliebe für tödliche, bunte Schlangen in jeder Szene aus. Ähnlich spritzig agiert Jason Schwartzman, der die Fernsehübertragung als Moderator Lucky Flickerman zynisch kommentiert. Einprägsam auch die Performance von Peter Dinklage, dessen Figur allerdings, wie so viele Nebencharaktere, halbherzig ausgearbeitet ist. Zu kurz kommen nicht zuletzt Snows Cousine Tigris, die seine Entwicklung irgendwann mit Unbehagen verfolgt, und sein bester Freund Sejanus, der die Hungerspiele aus tiefstem Herzen verabscheut.

Das Porträt eines späteren Despoten hat starke, verstörende Momente. Ins Schlingern kommt der Film aber vor allem im Schlussdrittel, das noch einmal einen ganz anderen Schauplatz aufmacht und die früh zu spürende Anziehung zwischen Coriolanus und Lucy Gray in den Blick nimmt. Weitreichende Intrigen spulen Lawrence und Co. hier jedoch wenig elegant ab, und sie nehmen sich nicht die Zeit, die diese Verstrickungen eigentlich bräuchten. Was emotional packend sein soll, entfaltet deshalb nicht die gewünschte Wucht. Egal, wie viel Energie die Schauspieler, allen voran Tom Blyth, auch in ihre Darbietungen legen.

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