Wie relevant sind eigentlich noch Musik-Charts?

Anikas Musik-Kolumne Nachgedacht Über Chartmanipulation und wie die Charts zustande kommen

Anikas Musik-Kolumne

Es ist waghalsig, aber doch nicht ganz unwahr zu sagen, dass wir mittlerweile in einem Jahrzehnt leben, in dem man aus den aktuellen Top 20 Single-Charts, wenn überhaupt, fünf Künstler beim Namen nennen kann, in den Album-Charts geht das noch ein wenig einfacher. Die Zeiten, in denen wir früher auf Viva oder MTV die offiziellen Single-Charts geschaut haben, sind auch vorbei. Also frage ich mich: Welchen Wert haben die Charts eigentlich überhaupt noch und wie werden sie überhaupt erstellt?

Wie kommen die Charts zustande?

Wöchentlich werden die Musikcharts für Deutschland vom Marktforschungsunternehmen GfK Entertainment ermittelt. Von Freitag bis Donnerstag werden die Daten gesammelt, was auch der Grund ist, warum neue Musik immer am Freitag und nicht, wie früher, am Montag erscheint und in die Läden kommt. Dabei fließen physische Käufe, Musikdownloads und Streamingzahlen in die Auszählungen hinein. Musik-Streams, die über 31 Sekunden lang sind, werden seit Februar 2016 bereits in den Albumcharts berücksichtigt. Spotify zahlt den Musikschaffenden beispielsweise 0,5 Cent pro Stream. Video-Streams hingegen werden nicht berücksichtigt, also wie viele Klicks ein Künstler beispielsweise über Youtube auf sein neues Musikvideo hat. 

Früher landete das Album oder die Single auf Platz 1, die am häufigsten gekauft wurde. Doch das ist mittlerweile nicht mehr so. Denn seit 2007 werden sogenannte "Werte-Charts" ermittelt, der Künstler beziehungsweise die Künstlerin, die am meisten Umsatz mit einem Lied oder einem Album gemacht hat, landet auf der Pole Position. Dabei ist die erste Veröffentlichungswoche in der Regel die, in der die Fans die meiste Kaufkraft haben. Wer seinen Lieblingsmusiker oder-musikerin unterstützen will, sollte daher in der ersten Woche kaufen, sodass das Produkt möglichst hoch in den Charts einsteigt. Die Verkaufszahlen selbst werden nur in Einzelfällen vom Label selbst veröffentlicht. 

Bei Helene Fischer kann man sicher sein, dass sie auf die Eins geht

Auch hier gibt es ein paar Kniffe, die die Labels beachten, um ihre Schützlinge möglichst weit nach vorn zu bringen. Denn für große Labels sind Charts immer noch entscheidend für die weitere Arbeit mit Kunstschaffenden. Wenn eine CD oder eine Single floppt, dann kann das für den Künstler, gerade wenn er neu bei einem renommierten Label ist, das Aus bedeuten. Doch auch bei bekannten Künstlern, die so hoch wie möglich einsteigen wollen, wird vorher genau geschaut, welche anderen Bands, Sänger oder Sängerinnen am selben Tag ihre Alben herausbringen. Wenn Helene Fischer eine neue Scheibe herausbringt, kann man sich sicher sein, dass sie auf Platz 1 geht. Wer es mit ihr aufnimmt, ist mutig. Selbst Taylor Swift konnte in der letzten Woche mit ihrem neuen Album "Lover", was bislang in elf Ländern (darunter unter anderem Australien, Japan, Norwegen, UK und die USA) auf die Eins gegangen ist, nicht mit Helene mithalten. Vor allem bei Rappern ist der Konkurrenzkampf enorm groß, da verschieben sich die Releasetermine regelmäßig. Als Gründe werden meist organisatorische Probleme, Produktionsengpässe oder anderes angeben, manchmal ist das vielleicht sogar so, aber oft ist der Konkurrenzkampf der Grund. Warum es jedoch so wichtig ist, unbedingt auf Platz 1 einzusteigen, kann nur vermutet werden. 

Chart-Manipulation

Obwohl die Charts in regelmäßigen Abständen von Prüfungsbeauftragte vom Verband BVMI in Baden-Baden kontrolliert werden, machten in den vergangen Monaten immer wieder Schlagzeilen über Chart-Manipulation die Runde. Vor allem das Video vom Y-Kollektiv, was im Mai auf Youtube hochgeladen wurde, sorgte für Aufregung. Darin erklärt ein Mann, der nicht erkannt werden will, dass er von Managern bezahlt wird, um die Streamingzahlen von Spotify zu manipulieren. Er erzählt und zeigt, dass er über 150.000 Accounts hat und die automatisch einen Song immer und immer wieder nacheinander hören. So steigt das Lied in den Spotify-Charts ein. Das hat zur Folge, dass echte User sich das Lied anhören und der Song so weiter bekannt wird, sich verkauft und später in den offiziellen Single-Charts landet. Dies macht der Unbekannte meistens für Rapper, die angeblich noch nicht einmal immer etwas davon wissen. Deren Manager kaufen sich sozusagen für sie in die Charts. Ist das die Wahrheit? Wundern würde es sicher keinen, da vor allem Rapsongs in den Singlecharts vertreten sind und Deutschland sicher nicht nur Rap hört, auch wenn es gerade im Trend ist. In Zeiten, in denen man sich Freunde, Follower und Likes kaufen kann, liegt auch die gekaufte Chartplazierung womöglich nicht allzu weit entfernt. Natürlich über Manipulation. In die Charts selbst kann man sich nach meinem Kenntnisstand nicht kaufen! 

So kannst du wirklich deine Lieblingsbands unterstützen

Bemerkenswert ist zum Abschluss noch zu nennen, dass Helene Fischer eine Rekordhalterin in Deutschland ist. Die Album-Jahrescharts belegte sie 2013 und 2014 jeweils mit "Farbenspiel" und 2017 und 2018 mit dem gleichnamigen Album "Helene Fischer". Das ist Rekord!

Ich für meinen Teil schaue immer mal in die aktuellen Charts hinein, da man manchmal doch eine Nummer entdeckt, die einem gut gefällt. Aber mittlerweile bin ich von dem Glauben weggekommen, dass Charts = Erfolg ist. Es gibt hunderte Bands, die ihre Touren ausverkaufen und noch nie in den Top 3 Albumcharts waren. Die Charts sind kein Garant, dass Musik auch gut ist, denn Geschmäcker sind verschieden. Ich lege jedem ans Herz vor allem nicht so sehr bekannte Künstler und Künstlerinnen mit physischen oder digitalen Käufen, Merchandise oder Konzerttickets zu unterstützen und auch wenn es verlockend ist, nicht alles illegal oder über Streaming-Dienste zu hören. Wir wollen ja, dass unsere Lieblingskünstler weiter Musik produzieren. Musik ist auch in gewisser Art eine Dienstleistung und gehört in meiner Welt vergütet. Ich hoffe in eurer auch. Denn auch als Musiker oder Musikerin kann man nicht nur von Luft und Liebe leben. 

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