Verfassungsschutz-Bericht: Linke und rechte Ränder "zermahlen die Demokratie"

Analyse Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2020 erschienen

Sachsen. 

Sachsen. Vom Rechtsextremismus geht bundesweit und insbesondere auch im Freistaat Sachsen weiterhin die größte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Zu diesem Schluss kommt der Sächsische Verfassungsschutzbericht 2020, der Anfang Oktober vorgestellt wurde. Die Verfassungsschutzbehörden stehen dabei vor einer veränderten Gefährdungslage: Feste Strukturen wie beispielsweise Parteien oder Kameradschaften für die Vernetzung und Rekrutierung neuer Anhänger verlieren für die Szene zunehmend an Bedeutung. Mittlerweile führen vielmehr die verstärkte Nutzung sozialer Medien sowie von Messenger-Diensten und die damit verbundenen überregionalen Vernetzungen zu einer hohen Reaktions- und Mobilisierungsgeschwindigkeit im rechtsextremistischen Spektrum.

Missbrauch der von Frust und Ängsten für verfassungsfeindliche Zwecke

Demnach missbrauchen Rechtsextremisten insbesondere im Internet die Sorgen und Ängste sowie Wut und Frust von Teilen der gesellschaftlichen Mitte gegenüber den Regierungsentscheidungen ganz gezielt für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke. Laut aktuellem Jahresbericht werden Fake News in den Sozialen Medien ebenso verbreitet wie Ressentiments und Hass gegen Andersdenkende sowie Drohungen gegen Amts- und Mandatsträger. Damit einhergehend ist eine immer weiter sinkende Hemmschwelle zur Gewaltanwendung zu beobachten.

Ansiedlungen von Rechtsextremisten in Mitteldeutschland

Wie das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen beobachtet, wirbt seit Februar 2020 die "Initiative Zusammenrücken" insbesondere im Messenger-Dienst Telegram sowie über verschiedene rechtsextremistische Publikationen für die Ansiedlungen von Rechtsextremisten in "Mitteldeutschland". Diese kommen mit ihren Familien unter anderem auch aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Die extremistischen Vorstellungen würden innerhalb von sogenannten "Siedlungsgemeinschaften" an die nächsten Generationen weitergegeben. Ziel sei es, einen an rassistischen und völkischen Ideen orientierten Lebensentwurf zu verwirklichen, der ein Zeichen gegen die von der Szene empfundene "Überfremdung" durch die Zuwanderer setzen soll.

Vernetzungsbestrebungen durch Siedlungsprojekte?

Der Verfassungsschutzbericht zitiert dafür einen Protagonisten der "Initiative Zusammenrücken": Er hält Sachsen für ein ideales Gebiet für das Vorhaben, da "man hier noch als richtiger Deutscher akzeptiert werden würde und anschließend als Volk in Ruhe wieder wachsen könne. Aufgabe sei es, "(...) uns zu bewahren und nicht zerstören zu lassen." Geworben werde mit den in Ostdeutschland vorherrschenden günstigen Standortfaktoren wie preiswertem Wohnraum, niedrigen Immobilienpreisen, ländlicher Abgeschiedenheit mit geringen Zuwandererzahlen, einem günstigen Arbeitsmarkt und einer modernen infrastrukturellen Grundversorgung auch auf dem Lande.

Hintergrund für die Umzüge sei zudem eine unterstellte, leichtere Anschlussfähigkeit ihrer Ideologie an das gesellschaftliche Umfeld. Die Siedlungsprojekte können laut Verfassungsschutzbericht als ein weiteres Indiz für die aktuellen Vernetzungsbestrebungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene gewertet werden.

Wichtiger "Netzwerker" im neurechten Spektrum

Mit dem innerhalb der nicht-extremistischen AfD bestehenden rechtsextremistischen Personenzusammenschluss "Der Flügel" ist zudem ein wichtiger "Netzwerker" im neurechten Spektrum am 12. März 2020 zum bundesweiten Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes erklärt worden. "'Der Flügel' nutzt ebenfalls den durch die Corona-Proteste entstandenen Nährboden, um die Entgrenzung zwischen demokratischen, radikalen und extremistischen Positionen in der Gesellschaft zu fördern", sagt Dirk-Martin Christian, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen.

Einstufung von 1.700 Personen als gewaltorientiert

Die Sammelbewegung sei auch der Grund für das gestiegene rechtsextremistische Personenpotenzial in Sachsen das sich im Jahr 2020 auf insgesamt 4.800 Personen belief (Vergleich 2019: 3.400). Davon werden 1.700 als gewaltorientiert eingestuft. Während der Anteil der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten auf 40 Prozent aller Gewaltstraftaten sank (Vorjahre: 60 bis 75 Prozent), stieg der Anteil der rechtsextremistischen Gewalttaten gegen Polizisten von rund 7,5 Prozent (2019) auf zirka 29 Prozent deutlich an.

Leipzig jetzt Hotspot für Linksextremisten

"Darüber hinaus besorgt mich die Entwicklung des Linksextremismus in Leipzig", so Innenminister Roland Wöller. "Die Messestadt, einst Ausgangspunkt der Friedlichen Revolution, ist, neben Hamburg und Berlin, zu einem bundesweiten Hotspot für gewalttätige Aktionen linksextremistischer Autonomer geworden. Regelmäßig mobilisieren sie hierfür auch Gleichgesinnte beispielsweise aus Berlin und Hamburg. Im Kampf gegen Faschismus, Gentrifizierung und staatliche Repression schrecken Linksextremisten auch vor schweren Körperverletzungsdelikten nicht mehr zurück."

Auffällig: Die Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten im Freistaat Sachsen ist im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Demgegenüber hat sich die Zahl der Gewaltdelikte nahezu verdoppelt. Ihr Anteil am gesamten linksextremistischen Straftatenaufkommen im Berichtsjahr stieg auf etwa 21 Prozent (2019: rund 9 Prozent). So kam es bei Protesten gegen sogenannte Corona-Leugner im November 2020 in Leipzig durch eine Tätergruppierung zu einem mutmaßlich linksextremistisch motivierten Angriff auf zwei Veranstaltungsteilnehmer der Querdenken-Versammlung. Der Angriff wurde als versuchtes Tötungsdelikt eingestuft.

"Demokratie droht, zermahlen zu werden"

Diese besorgniserregenden Entwicklungen verdeutlichen, wie stark die linken und rechten Ränder inzwischen seien und wie gefährdet unsere freiheitliche demokratische Grundordnung sowie unser gesellschaftlicher Zusammenhalt sei, ergänzt Wöller. Inmitten dieser Ränder drohe die Demokratie zermahlen zu werden. Christian betont, dass das Landesamt für Verfassungsschutz zwar eindringlich vor diesen gefährlichen Entwicklungen warnt, Alarm schlägt und Erkenntnisse an die Polizei sowie an Kommunen und die Öffentlichkeit weitergibt... "Letztendlich liegt es aber an jedem einzelnen Bürger, sich klar und deutlich von Extremisten jedweder Art zu distanzieren. Der Kampf gegen Verfassungsfeinde muss entschlossen aus der Mitte der Gesellschaft herausgeführt werden."

Worum geht es im Verfassungsschutzbericht?

Der Bericht informiert über die verfassungsfeindlichen Entwicklungen in den Phänomenbereichen Rechts- und Linksextremismus, Reichsbürger und Selbstverwalter, Islamismus, sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug sowie über Spionageaktivitäten. Mit regionalen Lagebildern wird die Situation in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten des Freistaates beschrieben und analysiert. Außerdem gibt der Verfassungsschutzbericht Ausblicke und Prognosen zur weiteren Entwicklung in den kommenden Monaten.

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