Wahl-Debakel in Sachsen: CDU sucht nach Ursachen

Bundestagswahl Der Freistaat färbt sich blau

Sachsen. 

Sachsen. Bei der Bundestagswahl 2017 konnte die Alternative für Deutschland (AfD) lediglich drei Wahlkreise am östlichen Rand von Sachsen auf sich vereinen. Vier Jahre später färbt sich - bis auf die drei kreisfreien Städte Chemnitz, Dresden und Leipzig - ganz Sachsen blau. Wie ist es zu erklären, dass die Partei im Freistaat eine so enorme Zustimmung erhält, während sie deutschlandweit sogar rund zwei Prozent weniger Stimmen als noch vor vier Jahren holen konnte? Auf der Suche nach Antworten schiebt sich die CDU, die 2017 in Sachsen noch 12 von 16 Direktmandaten holen konnte, gegenseitig die Schuld zu - von Bund- zu Landesebene und umgekehrt. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich dazwischen.

Ein Trend, der sich ankündigte

Wer es sich einfach machen will, verweist auf Corona. Zugegeben, selten war regieren schwieriger als während der Pandemie. Zwischen notwendigen Schutzmaßnahmen und größtmöglicher Freiheit zu entscheiden, war und ist ein Balanceakt, den es in unserer modernen Demokratie so noch nicht gegeben hat. Das bringt nicht nur Zustimmung, logisch. Doch einen Zusammenhang zwischen Impfquote und Wahlausgang herzustellen, wie ihn Sachsens CDU-Spitzenkandidat Marco Wanderwitz am Beispiel des Vogtlandkreises aufruft, ist schlichtweg eine Ausrede - zumal andere Landesregierungen zwischenzeitlich weitaus schärfere Corona-Regeln erlassen hatten, ohne AfD-Rückenwind als Folge. Vielmehr konnte sich im Vogtland Yvonne Magwas von der CDU nur sehr knapp vor dem AfD-Kandidaten das Direktmandat sichern. Und: Schon die Landtagswahl vor zwei Jahren - damals noch ohne Corona - verdeutlichte mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und AfD, in welche Richtung der sächsische Kurs steuert. Das war wohl auch dem Spitzenkandidaten der Sachsen-CDU vor der Bundestagswahl bewusst. Man habe gehofft, dass das Ergebnis nicht ganz so schlimm ausfalle wie befürchtet, sagte Wanderwitz der Freien Presse. Doch die Befürchtungen wurden wahr. In seinem Wahlkreis Erzgebirge II verlor er das Direktmandat nach fast 20 Jahren an Mike Moncsek von der AfD - und zwar deutlich mit einem Abstand von mehr als fünf Prozentpunkten.

Stichwort Wanderwitz

Marco Wanderwitz ist einer der Politiker, die jetzt für das Wahldebakel im Freistaat herhalten müssen. Im Sommer vertrat der Ostbeauftragte der Bundesregierung die Meinung, Ostdeutsche hätten eine stärkere Neigung zur Wahl rechtsradikaler Parteien als Westdeutsche. "Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind", sagte Wanderwitz damals im F.A.Z.-Podcast. Die Aussage sorgte für mächtig Wirbel, fand Kritiker und Befürworter gleichermaßen. Die Behauptung sei sicher nicht hilfreich gewesen, sagte Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer nun der Leipziger Volkszeitung. Im Interview mit dem MDR schrieb der Ministerpräsident jedoch auch der Bundespolitik Fehler zu. Auch der im Wahlkreis Görlitz unterlegene Direktkandidat und CDU-Kreischef Florian Oest kritisierte Bundes- wie Landesebene der Partei: "Die Spitzenkandidaten Armin Laschet und Marco Wanderwitz waren eine schwere Belastung für den Wahlkampf."

Stichwort Laschet

Dass ein "Zugpferd" wie Angela Merkel, selbst ein Kind Ostdeutschlands, eine Identifikationslücke hinterlassen würde, war im Vorfeld der Wahlen klar. Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und seit Januar 2021 Bundesvorsitzender der CDU, sollte diese Lücke füllen. In Sachsen zuvor selten wahrgenommen, verlor Laschet im Kampf ums Kanzleramt im Freistaat jedoch wichtige Wähler, die ihr Kreuz noch vor vier Jahren bei der CDU gesetzt hatten. Es lässt sich nur mutmaßen, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen eng mit seinem sächsischen Amtskollegen zusammenarbeitete, das Strahlkraft-Vakuum eher hätte füllen können. Fakt ist: Eine der größten Volksparteien des Landes hat beim Aufbau eines Merkel-Nachfolgers wichtige Zeit verstreichen lassen. Im Gegenzug ist es der AfD in Sachsen offensichtlich gelungen, Stimmen von der Union abzuschöpfen.

In einem Punkt sind sich alle einig

Für den Freistaat Sachsen bedeute der AfD-Wahlsieg nichts Gutes, sagte Wanderwitz der Freien Presse. In Berlin sei Sachsens Gesicht jetzt blau. "In keiner der nun denkbaren Regierungskoalitionen sind so viele sächsische Bundestagsabgeordnete wie in der bisherigen großen Koalition vertreten." Der Einfluss des Freistaats auf politische Entscheidungen sinke damit enorm. Auch Michael Kretschmer bedauert, dass sich durch die verlorenen CDU-Direktmandaten im Freistaat die Möglichkeiten zur Mitgestaltung auf Bundesebene deutlich verschlechterten.

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