Das ist bisher über Long Covid bekannt

Rätselhafte Krankheit Die Pandemie ist vorbei, Long Covid bleibt: Viele Menschen werden nach einer Corona-Erkrankung nicht wieder gesund. Eine Übersicht über die Symptome, Behandlungsmöglichkeiten und Perspektiven.

Corona ist vorbei - das empfinden viele Menschen zumindest so, denn in ihrem Alltag spielt die Krankheit keine Rolle mehr. Und: Die Pandemie wurde offiziell für beendet erklärt.

Doch es gibt eine Gruppe von Menschen, die noch immer unter den Folgen der Infektion leidet. Sie haben Long Covid entwickelt, das nun ihr Leben bestimmt - und nicht selten stark beeinträchtigt.

Das neue Krankheitsbild gibt Medizinern nach wie vor Rätsel auf. Hier erklären Expertinnen, was bisher über Long Covid bekannt ist.

Was ist Long Covid?

Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die sich in Folge einer Infektion mit dem Coronavirus entwickelt. Die genaue Ursache für ihre Entstehung ist bislang noch nicht sicher bekannt.

Zu unterscheiden sind zwei Begriffe:

  • Long Covid
  • Post-Covid-Syndrom

Der Begriff Long Covid sei von Patienten geprägt worden, sagt Prof. Carmen Scheibenbogen. Demnach hat man noch vier Wochen nach der Infektion anhaltende Symptome, erklärt die Leiterin des Fatigue Centrums der Berliner Charité. Das Zentrum ist auf die Untersuchung und Behandlung von Menschen mit Post Covid spezialisiert.

Von Long Covid abzugrenzen sei nach Definition der WHO das Post-Covid-Syndrom. "Hier haben Sie noch drei Monate nach der Erkrankung Symptome, die auf eine Corona-Infektion zurückzuführen sind und die Sie im Alltag einschränken", erläutert Scheibenbogen. "Menschen, die nach zwei Monaten genesen sind, fallen also nicht in diese Kategorie."

Gut zu wissen: Medizinisch relevant seien vor allem Patienten, die dauerhaft krank blieben - also jene mit Post-Covid-Syndrom. Allerdings hat sich dafür in der Alltagssprache auch der Begriff Long Covid durchgesetzt. Man sagt also meist Long Covid, wenn medizinisch Post Covid gemeint ist.

Dieses Krankheitsbild ist sehr komplex und wird immer noch erforscht. Viele Zusammenhänge sind Medizinern unklar.

"Das Post-Covid-Syndrom ist nicht auf einzelne Symptome beschränkt", sagt Prof. Scheibenbogen. Häufige Symptome seien etwa Fatigue, also extreme Müdigkeit und Erschöpfung, zudem Muskelschmerzen und Kreislaufprobleme. "Aber das kann ganz unterschiedlich sein."

Wichtig sei daher die Anamnese. Also: Wann begannen die Symptome? Standen sie im Zusammenhang mit der Corona-Infektion? "Gerade bei den jüngeren Patienten ist dieser Zusammenhang meist sehr klar", sagt die Expertin. "Die waren vor der Infektion vollkommen gesund."

Wie viele Menschen sind von Post Covid betroffen?

Nach Hochrechnungen der WHO von September 2022 waren in Europa in den ersten beiden Jahren der Pandemie mindestens 17 Millionen Menschen von Post-Covid-Symptomen betroffen.

Professor Scheibenbogen verweist auf eine Studie aus den Niederlanden. Demnach entwickelten 12 Prozent aller Menschen, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben, Langzeitfolgen.

Wer hat ein erhöhtes Risiko für Post Covid?

Menschen, die an Corona schwer erkrankt sind und zum Beispiel beatmet werden mussten, haben laut Scheibenbogen eher Langzeitfolgen. Diese hätten aber nicht unbedingt mit der Virusinfektion zu tun. "Sie können auch Folge der intensivmedizinischen Behandlung sein."

Bei den jüngeren Patienten, die eher einen milden Verlauf hatten, kennt man einige Risikofaktoren für Post Covid. Etwa: "Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer", sagt Scheibenbogen.

Hinzu kommen weitere Faktoren:

  • Autoimmunerkrankungen
  • Immundefekte wie ein Mangel an Mannose-bindendem-Lektin (MBL)
  • Asthma

Wie lange dauert die Erkrankung an?

Auch das ist sehr unterschiedlich. Doch bei vielen Erkrankten sind die Symptome bisher nicht besser geworden.

"Innerhalb der ersten Wochen und Monate kann es von alleine ausheilen", sagt Scheibenbogen. "Allerdings sehen wir jetzt bei vielen, dass die Symptome schon zwei Jahre anhalten. Viele Betroffene sind anhaltend schwer krank". Das Risiko, dass die Erkrankung chronisch werde, steige mit der Dauer der Symptome.

Nach Studienergebnissen der Charité entwickelt etwa die Hälfte der Post-Covid-Patienten mit Fatigue und Belastungsintoleranz eine ME/CFS-Erkrankung (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom).

Sie kann auch von anderen Virus-Infektionen ausgelöst werden und ist geprägt von schwerer Erschöpfung, die mit ausgeprägten körperlichen und kognitiven Symptomen einhergeht.

Diese schwere neuroimmunologische Erkrankung führt oft zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung. Sie ist nicht mit dem einzelnen Symptom Fatigue zu verwechseln.

"Gerade diejenigen, die eine vollständige ME/CFS-Erkrankung entwickelt haben, sind nach zwei Jahren genauso krank wie nach sechs Monaten", sagt Scheibenbogen.

Wie lässt sich Post Covid diagnostizieren?

Bislang gibt es nicht den einen Test, wie Prof. Scheibenbogen aus ihrer Arbeit weiß. Die Diagnose beruht auf der Anamnese und ergänzenden diagnostischen Untersuchungen.

Bei manchen Patienten sehe man Organveränderungen wie etwa Lungenschäden. ME/CFS zeige sich beispielsweise durch eine deutlich verminderte Muskelkraft und begleitende Kreislaufprobleme.

"Post Covid ist wahrscheinlich keine Erkrankung, bei der man einen bestimmten Biomarker für alle ermitteln kann", sagt die Expertin.

Hier werde es wohl auf eine Kombination aus verschiedenen Markern hinauslaufen, da man es wahrscheinlich auch mit unterschiedlichen Krankheitsmechanismen zu tun hat - Entzündungen, Autoantikörper, Virusreste, Durchblutungsstörungen. "Die können Teil der Diagnostik sein, aber das ist noch nicht validiert."

"Nicht jeder Patient ist gleich, aber es gibt auch nicht unendlich viele Symptome", sagt die Lungenfachärztin Jördis Frommhold. Sie hat in Rostock das erste Long-Covid-Institut in Deutschland gegründet.

Nach ihren Erfahrungen mit Patientinnen und Patienten lassen sich diese grob vier Clustern zuordnen:

1. Menschen mit Fatigue, also starker Erschöpfung

Wichtig: Davon abzugrenzen seien noch einmal Patienten mit einer vollausgeprägten ME/CFS, die oft bettlägerig sind.

Weitere Symptome, die bei diesem Cluster auftreten:

  • Muskelschmerzen
  • plötzlicher starker Anstieg oder Abfall des Blutdrucks
  • Herzrasen
  • Konzentrationsprobleme
  • "Brain Fog" (Nebel im Gehirn)
  • Reizüberflutung

"Diese Symptome stehen immer im Zusammenhang mit einer Überbelastung", erklärt die Medizinerin – das wird auch als Crash bezeichnet.

2. Menschen ohne Fatigue, die trotzdem nicht mehr belastbar sind

"Sie können zum Beispiel beim Sport nicht mehr so viel trainieren. Oder sie bekommen beim Treppensteigen keine Luft, ihnen stockt der Atem", berichtet Jördis Frommhold.

Man sehe auch Muskelkater im Brust- und Rückenbereich. "Diese Patienten haben eine unauffällige Lungenfunktion. Hier haben wir es mit einer Einschränkung der Atemmechanik zu tun."

3. Menschen mit hauptsächlich neurologischen Einschränkungen

Die Symptome erinnern Frommhold zufolge an eine Demenz.

4. Menschen mit psychosomatischen Problemen

"Wobei ich davor warne, Long Covid gleich in die psychosomatische Ecke zu stellen", sagt die Expertin. Trotzdem: "Gerade bei jungen, arbeitswilligen Menschen ist es verständlich, wenn nach einer langen Zeit ohne Therapie-Möglichkeiten Existenzängste aufkommen."

Eine Schwierigkeit ist, dass es auch Kombinationen aus diesen Clustern gibt, so Frommhold.

Wie kann ich mich vor Post Covid schützen?

Auch bei dieser Frage gibt es noch keine abschließenden Antworten.

Feststeht: "Viele Menschen, die geimpft sind, werden nicht mehr krank, auch wenn positive Antikörper im Blut eine durchgemachte Infektion anzeigen", erklärt Scheibenbogen.

Zum anderen führe die Impfung zu einem milderen Verlauf der Krankheit. "Das schützt wahrscheinlich auch vor Post Covid", schätzt die Expertin. Allerdings sei die Datenlage hier sehr heterogen.

Der Grund: Es hängt davon ab...

  • wann geimpft wurde.
  • wie oft man geimpft ist.
  • wie lange die letzte Impfung zurückliegt.

Auch der Virustyp – etwa Delta oder Omikron-Variante – spielt eine Rolle. "Das Risiko ist nach einer Infektion mit Omikron nur noch halb so groß wie bei der Delta-Variante, wenn man zweifach geimpft ist."

Fazit der Expertin: Die Impfung schützt auch vor Post Covid.

Gut zu wissen: Auch eine Behandlung von Covid-19 scheint das Risiko von Long Covid zu senken, so Scheibenbogen. Sie verweist auf eine US-Studie, wonach die Behandlung mit dem Virusmedikament Nirmatrelvir das Risiko von Long Covid um 25 Prozent verminderte.

Eine weitere Studie zeigte, dass das Diabetesmedikament Metformin das Risiko von übergewichtigen Frauen um mehr als die Hälfte reduzierte. Es hat auch eine entzündungshemmende Wirkung.

Lungenärztin Jördis Frommhold weist noch auf einen anderen Punkt hin: Wer an Corona erkrankt, sollte die Krankheit weiterhin erstnehmen und sich unbedingt schonen - wie bei anderen Virus-Erkrankungen auch.

"Es ist wichtig, dass ich diese akute Phase nicht kleinrede", sagt die Medizinerin. "Sie sollten sich Zeit nehmen, um gesund zu werden und sich wirklich Ruhe gönnen." Und etwa nicht direkt Sport machen.

Das Problem sei hier auch die Leistungsgesellschaft, sagt Frommhold. Viele Erkrankte wollen möglichst schnell wieder zurück zur Arbeit.

Wie kann Post Covid behandelt werden?

Sie ahnen es schon: Auch hier sind leider noch viele Fragen offen. "Es gibt noch keine Medikamente, um die Erkrankung gezielt zu behandeln", sagt Scheibenbogen. Ziel sei vor allem eine Linderung der Symptome.

Schlafstörungen, Kreislaufprobleme, aber auch Lungenerkrankungen oder Autoimmunerkrankungen, die durch Covid ausgelöst wurden, ließen sich behandeln. "Hier kommt es auf eine gute Diagnostik an."

Viele Betroffene hoffen weiter auf wirksame Medikamente. "Wir brauchen ganz dringend Studien mit Medikamenten, die bereits für andere Krankheiten zugelassen sind", sagt Prof. Scheibenbogen.

Beispiele sind hier:

  • Medikamente für Rheuma und andere Autoimmunerkrankungen
  • Medikamente, die die Durchblutung verbessern

Inzwischen ist weltweit eine Reihe von klinischen Studien zu Post Covid angelaufen. Auch in Deutschland sind erste Therapiestudien in der Nationalen Klinischen Studiengruppe (NKSG) gestartet. Sie werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Ergebnisse aus ersten Studien liegen vor. Sie zeigten, dass die Sauerstoffhochdrucktherapie (HBOT) wirksam sei, sagt Scheibenbogen. Dabei atmen die Patientinnen und Patienten in einer speziellen Kammer für eine gewisse Zeit reinen Sauerstoff ein.

Erste Wirksamkeitsdaten gebe es auch für die Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten und niedrig dosiertem Naltrexon und Guanfacin. Diese beiden Medikamente werden schon lange in der Behandlung von ME/CFS eingesetzt.

Jördis Frommhold geht in ihrer Klinik symptomorientiert vor. Es laufe oft auf eine Kombination verschiedener Therapieformen hinaus.

Einige Beispiele:

  • Eine beeinträchtigte Atemmechanik sei relativ einfach zu behandeln - über Physiotherapie und Massagetechniken, so Frommhold.
  • Bei Fatigue kommt es auf die Ausprägung an. "Wenn jemand massiv eingeschränkt ist, helfen Medikamente gegen die Symptome, natürlich off-label", sagt die Ärztin. Das heißt: Diese Medikamente sind zwar zugelassen, werden aber anders dosiert oder für andere Symptome als offiziell empfohlen verwendet. Damit ließen sich etwa Herzrasen oder Schlafstörungen behandeln. Auch Antihistaminika könnten helfen. Manchmal sei auch eine Cortison-Therapie hilfreich.

Was experimentelle Therapien angeht, wägt Frommhold genau ab. "Wir sind da nicht abgeneigt. Aber man muss sehr genau hinschauen, für wen was sinnvoll ist." Ihrer Erfahrung nach sollten Patientinnen und Patienten zunächst konventionelle Maßnahmen ausprobieren.

Viel Hoffnung wird zum Beispiel auf die sogenannte Blutwäsche gesetzt, in der Fachsprache Immunapherese. Dabei werden Antikörper aus dem Blut gefiltert. "Das hilft einem Patienten aber nicht, wenn er gar keine Auto-Antikörper hat", sagt Frommhold.

Bei einer H.E.L.P. Apharese werden dagegen Gerinnungsfaktoren im Blut entfernt, die Mikro-Embolien verursachen. "Auch das hilft nicht jedem." Wichtig sind deshalb zunächst andere Untersuchungen.

Wie finden Betroffene wieder zurück ins Leben?

Oft ist der Weg zurück ins alte Leben schwer bis unmöglich. Betroffene können nur versuchen, bestmöglich mit der Erkrankung umzugehen, denn sie haben eine ausgeprägte Belastungsintoleranz.

Konkret heißt das: "Den Betroffenen geht es oft tagelang schlecht, wenn sie einmal zu viel machen", sagt Scheibenbogen. Das Stichwort lautet Energiemanagement oder Pacing. "Ich muss also herausfinden, wie viel ich machen kann, ohne dass es mir schlechter geht."

Das Problem: Bei vielen Betroffenen ist die Grenze zur Überbelastung schon nach wenigen kleinen Alltagstätigkeiten überschritten.

Post Covid sei für junge Menschen eine Katastrophe, sagt Scheibenbogen. "Sie fallen aus allem heraus, geraten nicht selten in finanzielle Not", berichtet sie. "Man bekommt die Krankheit von der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht anerkannt. Das ist eine extrem schwierige Situation."

Angesichts dessen wundert sich Scheibenbogen oft, wie positiv viele ihrer Patienten bleiben. Hier komme es auch darauf an, wie gut man von der Familie und dem Freundeskreis aufgefangen wird.

Die allermeisten Patienten seien - entgegen einem häufigen Vorurteil - eben nicht psychisch krank. "Sondern sie sind erstaunlich resilient dafür, dass sie körperlich schwer erkrankt sind."

Scheibenbogen gibt Betroffenen folgende Tipps und Hinweise:

  • Chronisch Erkrankte können versuchen, sich an ortsnahe Long-Covid-Spezialambulanzen oder –Praxen überweisen zu lassen, um eine sichere Diagnose zu bekommen und ein Therapiekonzept zu erstellen. Doch solche Zentren sind bisher noch unterfinanziert und haben lange Wartezeiten, kritisiert die Medizinerin.
  • Eine auf das Post-Covid-Syndrom spezialisierte Rehabilitation wäre sinnvoll, um eine an den Symptomen orientierte Behandlung optimal umzusetzen - und bei Belastungsintoleranz das Alltagsmanagement mittels Pacing zu erlernen.
  • Flexiblere Arbeitsbedingungen könnten vielen der meist jüngeren Patienten eine Berufstätigkeit trotz Erkrankung ermöglichen.

Problem: "Viele Patienten kommen viel zu spät", berichtet Jördis Frommhold. Die Symptome sind oftmals längst chronisch geworden, bevor eine Therapie in einer geeigneten Klinik beginnt.

Eine große Hürde ist laut der Expertin auch der berufliche Wiedereinstieg.

Viele Arbeitgeber sagen: Komm zurück, wenn du wieder 100-prozentig fit bist. "Aber das wird bei vielen nie mehr so sein", so Frommhold. Diese Menschen müssten stufenweise wieder herangeführt werden. Belasten sie sich zu stark, kommt es zum Crash - und dann geht erst einmal gar nichts mehr.

"Hier muss man individuell erarbeiten, wo die Grenze liegt", sagt Frommhold. "Der Arbeitgeber und auch die Kolleginnen und Kollegen müssen das wissen und verstehen." Betroffene sollten deshalb mit ihrem Arbeitgeber in den Austausch gehen. Eventuell sind Modelle zum sanften Wiedereinstieg in den Job möglich.

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