Herr Meyer, welche Rolle trauen Sie dem deutschen Team bei der Europameisterschaft zu?

Welt- und Europameisterschaften sind jeweils Sammelpunkte von Weltklassespielern. Ich glaube allerdings, die "Corona-EM" wird diesmal nicht entschieden durch ein simples Addieren der "Ausblinker" jeder Mannschaft. So wie die deutsche Mannschaft sich momentan in einer Situation befindet, in der auf ein paar Positionen Probleme noch auf ihre Lösung warten, sehe ich auch bei der Konkurrenz kaum Entwicklungsvorteile. Das heißt, letztendlich haben sechs bis sieben Mannschaften die Chance, Europameister zu werden. Dass die Mannschaft des Bundestrainers auf acht selbstbewusste Bayern nach zwei überragenden Jahren zurückgreifen kann, ist für Jogi Löw genauso wichtig wie die Erfolge seiner Nationalspieler bei Chelsea und Man City. Auch die sehr leistungsstarken Gruppengegner müssen kein Nachteil sein. Drei Heimspiele in München, unsere sprichwörtliche Turnier-Tauglichkeit und die Organisationsform dieser EM, dass auch der Dritte die Chance hat, weiterzukommen, sollte uns das Achtelfinale sichern. Alles was danach kommt, wird von Optimismus und ein bisschen Glück abhängen.

Waren Sie überrascht, dass Joachim Löw bei Mats Hummels und Thomas Müller über den Schatten gesprungen ist?

Jedem Trainer in dieser Position muss das Recht der Kaderplanung, inklusive einer Verjüngung, zugestanden werden. Die Notwendigkeit nach der enttäuschenden WM in Russland erschien ja auch vielen mehr als verständlich. Wenn dann in einer auch für den Fußball verrückten Zeit bestimmte Erwartungen nicht erfüllt werden, ist es für den Fußballfachmann nur logisch, dass der Nationaltrainer bei seinem letzten Turnier nicht an die Zukunft dieser Mannschaft denkt, sondern an den optimalen aktuellen Erfolg. Es spricht nicht gegen seine jüngeren Kollegen, sondern vielmehr für Hummels, dass er sich über starke Leistungen bei der Dortmunder Borussia diese Einladung total verdient hat. Über Thomas Müller braucht man mit mir nicht zu reden. Die letzten zwei Jahre bei den Bayern haben auch Jogi überzeugen müssen, dass die Verabschiedung, zum damaligen Zeitpunkt, nicht glücklich war.