Der Botanische Garten ist sein zweites Zuhause

Menschen Langjähriger Leiter des Chemnitzer Schulbiologiezentrums Jochen Weiß hört auf

Jochen Weiß blickt auf einen über zehn Meter großen Mammutbaum. Dann umarmt er ihn kurzerhand. "Den habe ich 1987 gepflanzt. Da war er nicht mal einen Meter groß", erzählt er. Der Mammutbaum gehört zu einer Reihe von Vermächtnissen, die Jochen Weiß Ende des Monats zurücklässt. Er ist seit fast 40 Jahren der leitende Lehrer des Chemnitzer Schulbiologiezentrums und geht nun in den Ruhestand. Seine Geschichte im Botanischen Garten beginnt aber noch viel früher.

 

Eine lebenslange Leidenschaft

Die Liebe und das Interesse für Tiere, Pflanzen und ökologische Zusammenhänge spürte Jochen Weiß bereits als kleiner Junge. Im Alter von zwölf Jahren hat er in einer Arbeitsgemeinschaft in der Anlage an der Leipziger Straße angefangen, seiner Leidenschaft nachzugehen. Es folgten die Teilnahme im Jugend-Aktiv der DDR und ein Studium zum Lehrer. Dann spielte der Zufall die entscheidende Rolle: auf einer Busfahrt hatte er Mitte der Achtziger eine Kollegin getroffen, die pädagogische Mitarbeiterin in der Station junger Naturforscher, so wie der Botanische Garten früher hieß, war und ihm davon erzählte. "Ich dachte sofort: Darauf hätte ich total Lust!", erinnert sich Jochen Weiß.

 

Neuer Lebensabschnitt

Die Busfahrt war somit der Beginn eines neuen Lebensabschnittes für den damals Ende 20-Jährigen. Er organisierte fortan Kinder- und Jugendfreizeiten, Arbeitsgemeinschaften, Kurse und Tagesveranstaltungen für Ferienkinder in der Station junger Naturforscher. Irgendwann kam ihm dann der Gedanke, der alles verändern sollte: "Ich dachte, es ist vergeudetes Potenzial, wenn es hier nur Freizeitangebote gibt. Es sollte richtiger Unterricht stattfinden", erzählt Jochen Weiß. Eine "Schule im Grünen" schwebte ihm vor. Die Idee wurde umgesetzt. Wie Weiß berichtet, waren bis zur Wende sechs Lehrer in der Einrichtung beschäftigt. In den darauffolgenden Jahren wurden es immer weniger. Seit 2015 ist Jochen Weiß Einzelkämpfer im Schulbiologiezentrum.

 

Pandemie hinterlässt Spuren

Vor der Coronapandemie kamen pro Halbjahr gut 3000 Schüler aus Grundschulen, Oberschulen, Förderschulen und Gymnasien regelmäßig zu Unterrichtseinheiten in den Botanischen Garten. Derzeit sind es etwa 1800. Den größten Teil davon nehmen Grundschüler ein, den kleinsten Oberschüler. Bei letzterem sieht Weiß ein Problem: die Anzahl der Biologiestunden ist stark reduziert worden. "Eine Stunde Bio in der Woche. Da kommt keiner mehr ins Biologiezentrum", sagt er. Dabei sei das, was die Schüler bei ihm lernen, so wertvoll: Von diversen Lebensräumen wie Gewässer oder Wiese über Tierarten und Bodenkunde bis hin zu biologischen Problemen der Globalisierung und der Ökologie verschiedener Klimazonen reicht das Spektrum, zu dem Weiß regelmäßig Auskunft gibt. Stolz ist er dabei auch auf einige Projekte. So pflegt er im Botanischen Garten eine Vitrine mit seltenen fleischfressenden Pflanzen, wie beispielsweise dem Sumpfkrug. "Dass der hier überhaupt wächst, ist nicht selbstverständlich", sagt Jochen Weiß. Der Sumpfkrug darf nur mit Regenwasser besprüht werden - Leitungswasser sei zu kalkhaltig und würde der Pflanze schaden. Im Freien baut Weiß zudem seit Jahrzehnten Getreide und selten gewordene Ackerwildkräuter an. Ein spezieller Bereich zeigt außerdem Pflanzen, die normalerweise nur im Mittelmeerraum wachsen. Das Quartier wurde 2007 angelegt um herauszufinden, ob die Klimaerwärmung bereits soweit fortgeschritten ist, dass derartige Pflanzen hier überleben können. "Die Strandkiefer entwickelte sich sogar zur größten in Deutschland", berichtet Jochen Weiß.

 

Wer wird Nachfolger?

Wer fast 40 Jahre mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat, kann auf allerhand Anekdoten zurückblicken. Der schönste Lohn sei für Jochen Weiß stets, dass die Kinder am Ende einer Unterrichtseinheit zu ihm sagen, dass sie Freude hatten. "So viel positive Rückmeldung, wie ich in meiner Arbeit hier bekomme, hat man als Lehrer sonst wohl nirgends", vermutet Jochen Weiß. Umso wichtiger ist es ihm, dass seine Arbeit fortgeführt wird. Schon seit Jahren weise er das Schulamt regelmäßig daraufhin, dass ab Februar 2023 "Sense" bei ihm ist, wie er es formuliert. Die Stadt Chemnitz, die zwar für die baulichen Belange des Botanischen Gartens nicht aber für die pädagogischen zuständig ist, geht von einer Weiterführung des Angebots im Schulbiologiezentrum aus, wie eine Mitarbeiterin der Pressestelle mitteilt. Das Landesamt für Schule und Bildung (Lasub), das für das Schulbiologiezentrum zuständig ist, erklärt auf Nachfrage, dass der Betrieb absichert werde. "Die Nachfolge ist in Arbeit", sag Lasub-Pressesprecher Roman Schulz. Nach derzeitigem Stand soll ab Februar mittwochs und donnerstags eine Lehrkraft am Schulbiologiezentrum zum Einsatz kommen. Zur Absicherung der anderen Tage laufen momentan noch Gespräche.

 

 

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