"Charité"-Star Sesede Terziyan: "Würde der Mensch wissenschaftlich handeln, ginge es uns sehr viel besser"

Sesede Terziyan im Interview Wie funktioniert die Medizin der Zukunft? Und was lässt sich mit einem Mikrobiom anfangen? Schauspielerin Sesede Terziyan taucht als visionäre Mikrobiologin einer neuen, im Jahr 2049 spielenden Staffel der ARD-Erfolgsserie "Charité" in neue Welten ein. Was hat sie in der "Zukunft" gelernt?

Sesede Terziyan, Tochter armenischer Eltern aus der Türkei, wurde 1981 in der westdeutschen Provinz geboren. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie an der Berliner "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch". Der deutschen Hauptstadt ist Terziyan treu geblieben. Hier spielt die Mutter eines Kindes an den renommierten Theaterbühnen, übernimmt aber auch schon mal die Hauptrolle in der ARD-Vorabendserie "WaPo Berlin". In Staffel vier der medizinhistorischen Erfolgsserie "Charité" (ab Dienstag, 9.4., 20.15 Uhr) ist sie nun als visionäre Forscherin und Institutsleiterin der Mikrobiologie zu sehen. Bei ARTE starten die neuen Folgen bereits am Donnerstag, 4.4., 20.15 Uhr. Das Besondere an der neuen Staffel: Sie spielt in der Zukunft: im Jahr 2049. Ein Versuch, sowohl medizinische wie auch gesellschaftliche Entwicklungen in 25 Jahren vorherzusehen - und in eine spannende Serienerzählung zu verwandeln. Sesede Terziyan musste dafür in eine für sie völlig neue Welt eintauchen.

teleschau: Für Ihre Rolle haben Sie ein dreitägiges Praktikum in der Mikrobiologie der Charité absolviert. Was lernt man da?

Sesede Terziyan: Es fing an mit einem langen Gespräch, das ich mit dem Institutsleiter Andreas Diefenbach führen durfte. Seine Position ist sozusagen meine Serien-Rolle in echt. Wir haben visionär über die Mikrobiologie der Zukunft geredet.

teleschau: Und was wird in dieser Zukunft passieren?

Sesede Terziyan: Alles kann passieren, sagte mir Professor Diefenbach. Er machte mir Mut aus wissenschaftlicher Sicht, dass Fiktion - völlig legitim - alles behaupten darf. Er sagte, wenn man von einer bestimmten Theorie oder These ausgeht, ist erst mal alles, was sich logisch daraus ableiten lässt, völlig in Ordnung. Das fand ich als Geschichtenerzählerin, ob im Theater oder Fernsehen, natürlich beruhigend - denn wir erzählen ja die Zukunft. Keiner weiß, wie es wirklich kommen wird.

"Die Natur ist schlau"

teleschau: Braucht man für die Zukunft der Medizin vor allem visionäre Köpfe wie jene Frau und Forscherin, die Sie in der Serie spielen?

Sesede Terziyan: Man braucht sowohl visionäre Köpfe wie auch viel Geduld, Fleiß und Robustheit beim Forschen. Beides ist in der Wissenschaft gleich wichtig - und ich habe in der Charité beides kennengelernt. Kaum ein großer Wurf in der Medizin ist ohne harte Arbeit im Labor entstanden. Ich durfte mir in der Charité die Schnittstellen zwischen Medizinern und Mikrobiologen anschauen - was faszinierend war. Aber ich musste auch ganz konkrete Dinge lernen: Wie sehen die Geräte aus, mit denen man im Labor zu tun hat? Oder auch ganz triviale Sachen. Wie man zum Beispiel mit einer Agarplatte umgeht, auf der Mikroorganismen kultiviert werden.

teleschau: Was hat Sie in der Charité am meisten fasziniert?

Sesede Terziyan: Das großartige Teamwork einer solchen Top-Einrichtung. Da arbeiten viele kluge und engagierte Leute, die wie ein feines Uhrwerk zusammenwirken. Die Arbeit dort funktioniert selbst wie ein Mikrokosmos oder ein Mikrobiom. Sie zeigte mir, wie viel Gutes Menschen erreichen können, wenn wir uns zusammentun und miteinander arbeiten.

teleschau: Die Mikrobiologie beschäftigt sich mit neu auftretenden Krankheitserregern. Durch die Corona-Pandemie ist dieses Fachgebiet stark den Fokus gerückt. Ist die Abwehr von Krankheitserregern tatsächlich die wichtigste Aufgabe der Mikrobiologie?

Sesede Terziyan: Es ist auf jeden Fall eines der wichtigsten Themen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Charité wissen, dass immer wieder neue Erreger auf uns zukommen. Darunter werden auch wieder herausfordernde und gefährliche sein. Wir haben jetzt schon so viele multiresistente Keime, gegen die unsere Antibiotika nicht mehr wirken, dass allein das ein Problem darstellt. Die Natur ist schlau. Sie entwickelt sich immer weiter und macht es uns nicht immer leicht. Es geht für uns Menschen darum, stets neu zu denken und frische Ansätze zu finden.

"Wir handeln lieber nach Gefühl denn nach wissenschaftlichen Erkenntnissen"

teleschau: Was genau ist eigentlich das Mikrobiom, das in der Serie immer wieder als Hauptforschungsgebiet ihrer Figur erwähnt wird?

Sesede Terziyan: Jeder Mensch hat einen einzigartigen Mix aus Bakterien im Körper, der sich in unserem Darm befindet. Unser Mikrobiom ist so einzigartig wie unser Fingerabdruck. Die medizinische Vision meiner Figur Maral Safadi ist, dass sie einen Einblick in jedes individuelle Mikrobiom erhalten und so Krankheiten individuell und damit passend behandeln will. Sie sieht das Bakterium nicht als Feind, sondern als Heiler.

teleschau: Und dies ist eine realistische Vision?

Sesede Terziyan: Absolut. Es ist ein viel diskutiertes Forschungsgebiet der Medizin und mehrere davon finden sich als Handlungsstränge in dieser neuen Staffel wieder. Das war die Idee dahinter, warum man in die Zukunft gehen wollte. Maral Safadi ist wie eine neue Version von Robert Koch, von dem ja die erste Charité-Staffel erzählte. Koch entdeckte im späten 19. Jahrhundert, dass Bakterien der Grund für viele Krankheiten sind. Meine Figur zeigt nun, wie Bakterien heilen können. Es schließt sich also ein Kreis.

teleschau: Die vierte Staffel spielt 30 Jahre in der Zukunft. Wie viel Science Fiction steckt in darin und wie viel wird - wahrscheinlich - genauso kommen?

Sesede Terziyan: Genau wissen wir das natürlich nicht. Der relativ kurze Schritt von 25 Jahren ist aber bewusst gewählt, weil die Autorinnen von vielen Entwicklungen erzählen, die jetzt schon im Gange sind. Vor kurzem gab es die Meldung, dass Elon Musks Firma Neuralink zum ersten Mal einen drahtlosen Gehirn-Computerchip bei einem Patienten eingesetzt hat. Das hat mich schon ein wenig gegruselt.

teleschau: Sind die Wissenschaftler, die Sie getroffen haben, besorgt, dass die nächste Pandemie oder eine andere Katastrophe vor der Tür steht?

Sesede Terziyan: Sie sind der Öffentlichkeit stets weit voraus, wenn es darum geht, zu beurteilen, was auf uns zukommt. Ein gutes Beispiel ist der Klimawandel, von dem Forscherinnen und Forscher seit Jahrzehnten wissen, dass er auf uns zukommt und drastisch ausfallen wird. Unsere Tendenz, gesichertes Wissen einfach zu Seite zu schieben, ist schon erstaunlich. Würde der Mensch wissenschaftlich handeln, ginge es uns sehr viel besser. Erstaunlicherweise zeigt aber die Historie, dass dies selten der Fall war. Wir handeln lieber nach Gefühl denn nach wissenschaftlichen Erkenntnissen - was eigentlich ein Wahnsinn ist.

"Wir leben nicht getrennt von der Natur!"

teleschau: Haben die Wissenschaftler uns schon aufgegeben?

Sesede Terziyan: Nein, das sicher nicht. Diese Leute machen ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen. Was sie aber sagen - und auch davon erzählt diese Staffel: Wir leben nicht getrennt von der Natur. Dass wir unabhängig von ihr leben, ist eine Überzeugung, der wir "moderne Menschen" irrtümlicherweise anhängen. Der Klimawandel wäre ohne diese ignorante Einstellung nicht möglich gewesen. Trotzdem kann ich nicht behaupten, dass ich vor allem fatalistische Menschen in der Charité getroffen hätte. Ganz im Gegenteil: Man bleibt bei den Fakten und ist zuversichtlich.

teleschau: Sind Sie jemand, der Angst vor bestimmten Krankheiten hat?

Sesede Terziyan: Ich habe keine Angst, aber großen Respekt vor Krankheiten. Mir ist bewusst, dass ohne meine Gesundheit nichts, aber auch rein gar nichts läuft. Gesundheit ist das Wichtigste, das wir haben. Deshalb sollten wir alle sehr demütig sein.

teleschau: Über welchen medizinischen Fortschritt in der Zukunft würden Sie sich ganz besonders freuen?

Sesede Terziyan: Dass Krebs noch besser behandelbar wäre. Das würde ich mir sehr wünschen. Weil es eine grausame Krankheit ist, die junge und alte Leute treffen kann. Ich würde mir auch für psychische Krankheiten wünschen, dass sie einfacher heilbar wären - mit weniger schwerwiegenden Medikamenten. Psychische Krankheiten betreffen auch viele junge Menschen. Unsere Gesellschaft ist daran leider nicht ganz unschuldig. Ich hoffe auch, dass beeinträchtigte Menschen in der Zukunft Möglichkeiten der Heilung erfahren. Es wäre eine Hoffnung, die Menschen mit Behinderungen enorm viel bedeuten würde. Ach, es gibt so viele Dinge, die man sich für die Medizin der Zukunft wünschen würde. Unter anderem auch, dass sie allen Menschen gleichberechtigt zustünde. Auch davon erzählt die Serie übrigens.

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