"Geldnot, fehlende Lobby und Einstiegshürden": Schauspielerin Judith Hoersch tritt für Hebammen ein

Neue Folgen "Lena Lorenz" (ZDF) Der Spagat zwischen ernsten Themen und leichter Unterhaltung ist schwer. Doch den Machern der Heimatfilmreihe "Lena Lorenz" gelingt er einmal mehr: Vor dem Start der zehnten Staffel spricht Hauptdarstellerin Judith Hoersch über die Probleme des Hebammenberufs und die Vereinbarkeit von Familie und Job.

Sie versteht es, viele Standbeine zu koordinieren: Judith Hoersch ist nicht nur Schauspielerin und Mutter, sondern auch Autorin und sozial engagiert. Die 43-Jährige ist wohl das, was man gemeinhin eine Powerfrau nennt. Im halbjährlichen Wechsel lebt sie in Berlin und im Berchtesgadener Land. Denn dort, im Süden Oberbayerns, dreht Hoersch für die beliebte Heimatserie "Lena Lorenz". Sie zeigt den turbulenten Alltag einer freiberuflichen Hebamme auf dem Land. Anlässlich der neuen, zehnten Staffel (ab Donnerstag, 11. April, 20.15 Uhr, ZDF) spricht die Hauptdarstellerin im Interview über die Risiken des Hebammenberufs, das Muttersein und den Spagat zwischen Familie und Beruf. Schließlich reist die taffe Blondine für ihr Leben gern um die Welt. Hoersch wirkt wie eine Frau, die weiß, was sie vom Leben will. Und sie zeigt Haltung: "Diejenigen, die die wichtigste Arbeit machen, verdienen am wenigsten", kritisiert Judith Hoersch das hiesige Gesundheitssystem.

teleschau: Seit 2019 verkörpern Sie die Land-Hebamme Lena Lorenz in der gleichnamigen Heimatserie, Sie sind ein Jahr zuvor selbst Mutter geworden!

Judith Hoersch: Ja, und ich habe viel gelernt über den völlig unterschätzten Berufsstand. Seit der Geburt meiner Tochter habe ich ein anderes Verständnis für Hebammen und dafür wie wichtig sie sind. Aber das geht nicht nur mir so, das geht allen Müttern so. Man liest das eine oder andere Buch, macht ein paar Kurse und denkt: Jetzt weiß ich alles. Und dann kommt das Kind, und man hat keine Ahnung (schmunzelt).

teleschau: Bestimmt eine beängstigende Situation ...

Judith Hoersch: Nein, überhaupt nicht. Ich hatte einen guten Zugang zu dem Thema: Meine Familie hat immer gesagt, Kinder kriegen ist total toll, das ist das Natürlichste der Welt. Also habe ich gedacht: Okay, andere schaffen das auch, so schwer kann es nicht sein. Und das war dann auch wirklich so.

"Diejenigen, die die wichtigste Arbeit machen, verdienen am wenigsten"

teleschau: Sie sprachen die Wichtigkeit von Hebammen an. Worauf ist Ihrer Meinung nach der Fachkräftemangel vor allem in dieser Branche zurückzuführen?

Judith Hoersch: Zum einen sind die Versicherungen für freiberufliche oder selbstständige Hebammen viel zu hoch. Zum anderen werden sie sehr schlecht bezahlt. Beispielsweise liegt die Gebühr pro Hausbesuch nach einer Geburt bei rund 27 Euro. Häufig sind Fahrtzeit und administrative Aufgaben nicht inkludiert. Davon werden dann noch Krankenkassen- und Rentenbeiträge sowie Steuern abgezogen. Und wie in so vielen Berufen im Sektor Gesundheit fehlt es natürlich an vielen Stellen an Lobbyarbeit. Diejenigen, die die wichtigste Arbeit machen, verdienen am wenigsten. Das ist ein Problem, das politisch diskutiert werden muss. Außerdem muss man seit ein paar Jahren studieren, um überhaupt als Hebamme arbeiten zu können. Das heißt, die Einstiegshürde ist noch höher geworden. Warum macht man so etwas?

teleschau: Denken Sie, Ihre Serie zahlt auf das Image des Hebammenberufs ein?

Judith Hoersch: Ich kann nur über das Feedback sprechen, das ich von den Zuschauern erhalte. Viele junge Mädchen schreiben mir, dass sie auch Hebamme werden wollen. Ob sie diesen Berufsweg dann wirklich wählen, wissen wir natürlich nicht. Wir versuchen aber, neben all der Bergromantik, den Arbeitsalltag einer Hebamme realistisch zu zeigen - wie beispielsweise auch die Geldnot: Lena fährt ein heruntergekommenes Auto, das permanent kaputt ist. Sie ist auch immer unter Zeitdruck.

teleschau: Etwas, das Sie als Schauspielerin und Mutter sicher kennen ...

Judith Hoersch: Allerdings. Entweder ich gehe all in, oder ich lasse es, weil die Schattenseiten überwiegen. Der Hebammen-Beruf und das Dasein als Schauspieler haben mehr gemeinsam als man zunächst denkt.

teleschau: Auch, weil beide Berufe in vielerlei Hinsicht risikobehaftet sind?

Judith Hoersch: Richtig!

teleschau: Wobei Sie sich ja nicht nur auf den Schauspielberuf verlassen!

Judith Hoersch: Das ist richtig, ich bin auch Schriftstellerin.

Wie sie Familie und Job unter einen Hut bekommt

teleschau: Wie lässt sich das alles vereinbaren? Vor allem mit Ihrem Kind ...

Judith Hoersch: Das hat mit Disziplin zu tun. Ich gehe einfach nicht viel aus. Irgendetwas leidet immer. Andere legen den Fokus mehr auf ihr Privatleben. Dass ich beruflich so viel aufbauen möchte, kostet einfach Zeit. Es ist ja nicht so, dass ich mich in der Drehpause hinsetze und mir nichts dir nichts ein Buch schreibe. So etwas braucht viel Zeit. Natürlich spielt auch Talent eine Rolle - ich glaube aber, der Schlüssel ist tatsächlich Disziplin. Und eiserner Wille. Mir sagt man jedenfalls nach, dass das meine Stärken sind.

teleschau: Wollen Sie irgendwann etwas kürzertreten?

Judith Hoersch: Einen Fünf-Jahres-Plan habe ich nicht. Aber ich kann mir für mein Leben durchaus eine andere Gewichtung vorstellen, als es aktuell der Fall ist. Es kann gut sein, dass ich irgendwann mehr schreibe und weniger spiele. Dann könnte ich auch mehr zu Hause sein. Mit dem Schauspielern habe ich schließlich schon im Alter von 17 Jahren angefangen.

teleschau: Erfüllt Sie das Schreiben etwa mehr?

Judith Hoersch: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich empfinde dabei einfach eine andere Form von Freude als beim Schauspielern. Der Schreibprozess erdet mich total. Das ist ein anderer kreativer Prozess, weil man alleine ist. Ich liebe die Kombination aus beidem.

teleschau: Sie schreiben nicht nur Romane, sondern auch Drehbücher ...

Judith Hoersch: Im Moment kaum. Ich konzentriere mich da immer auf eine Sache - aktuell arbeite ich an einem Roman. Ich weiß aber schon, welche Geschichte ich danach anpacke. Aber drei Sachen nebenher schreiben wie mit 23 - das geht mit Kind wirklich nicht mehr.

"Ich habe kein Kind, um dann alleine die Welt zu bereisen"

teleschau: Alltagsnahe Geschichten erzählt auch die Reihe "Lena Lorenz": Inwiefern können Sie sich denn mit Ihrer Rolle der Titelheldin identifizieren?

Judith Hoersch: Es gibt einige Berührungspunkte. Wir haben beide die Tendenz zum Helfersyndrom. Wir sind beides Macherinnen. Wir reden nicht um den heißen Brei herum. Ich allerdings kann mir nicht vorstellen, immer an einem Ort zu sein und mit meiner Mutter in einem Haus zu wohnen (lacht). Ich könnte auch nicht auf das Reisen verzichten.

teleschau: Wenn Sie auf Reisen sind, reisen Sie dann alleine oder mit Kind und Kegel?

Judith Hoersch: Ich will meiner Tochter natürlich die ganze Welt zeigen und sie auch darauf vorbereiten. Ich habe kein Kind, um dann alleine die Welt zu bereisen.

"Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate ist dort immer noch viel zu hoch"

teleschau: Im vergangenen Sommer waren Sie für Hilfsprojekte in Uganda. Worum ging es da?

Judith Hoersch: Der Fokus dieser Projektreise war, sich mit der Muttergesundheit auseinanderzusetzen. CARE leitet diese Art Projekte, die sich auch um die Gesundheit von Kindern und grundsätzlich um die Unterstützung von Frauen drehen. Dort ist es nicht so modern wie bei uns. Frauen kriegen häufig viele Kinder unter schlechten Bedingungen und werden teilweise unterdrückt. Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate ist immer noch viel zu hoch.

teleschau: Woran liegt das?

Judith Hoersch: Vor allem daran, dass viele Frauen dort ihre Kinder zu Hause und ohne medizinische Unterstützung gebären. Eine Mutter bringt im Durchschnitt 5,8 Kinder zur Welt. Ich habe auch viele Frauen mit zehn Kindern kennengelernt. Bei so einem Trubel und den widrigen Umständen kriegen die gar nicht mit, ob sich bei einer Geburt beispielsweise die Gebärmutter abgesenkt hat. Dann kann es bei der nächsten Geburt zu Komplikationen oder gar zu Verblutungen kommen.

teleschau: Etwas, das man sich hierzulande auf diesem medizinischen Niveau kaum mehr vorstellen kann.

Judith Hoersch: Ja, eben. Als ich meinen Liebsten sagte, dass ich nach Uganda fahre, waren alle irritiert und fragten: "Machst Du das etwa freiwillig?". Man muss aber wissen: Die Health-Center werden im Rahmen eines Drei-Länder-Projektes gebaut. Das alles betrifft auch die Kongolesen und die Südsudanesen. Der Südsudan ist extrem unsicher, und der Kongo ist es teilweise ja auch gerade. Das heißt, Hilfesuchende kommen über offene Grenzen nach Uganda.

teleschau: In der Hoffnung, das eigene Überleben und das ihrer Kinder zu sichern?

Judith Hoersch: Im Grunde ja. Für Leute aus dem Südsudan ist Uganda eine Art Paradies, weil es dort keine Ressourcenknappheit gibt. Es gibt Wasser, Essen und eine Open-Door-Policy - das heißt: jeder darf kommen. Dort habe ich eine Hebamme kennengelernt, die von CARE ausgebildet worden ist. Aus dieser Zeit und den Gesprächen nehme vor allem das Gefühl von Demut mit. Ich sehe mein eigenes Leben in einem ganz anderen Licht. Unsere Probleme sind deswegen nicht alle unwichtig - aber ich schaue jetzt aus einem etwas anderen Blickwinkel drauf.

"Man will auch mal privat sein"

teleschau: Um Hilfsprojekte zu unterstützen, reisen Sie durch die halbe Welt. Für "Lena Lorenz "nur" durch ganz Deutschland ...

Judith Hoersch: Genau. Ich lebe in Berlin und wegen der Dreharbeiten für ein halbes Jahr in Berchtesgaden. Ich bin ein totaler Stadtlandmensch. Ich brauche beides. Wenn ich in Berlin bin, denke ich, ich will für immer hierbleiben - und umgekehrt genauso. Ich fühle mich sowieso schnell irgendwo zu Hause. Alleine wegen meiner Tochter kenne ich mittlerweile viele Menschen, die überhaupt nichts mit der Reihe zu tun haben. Sie geht hier schließlich in den Kindergarten. Ich glaube, die Menschen hier haben sich inzwischen daran gewöhnt, mich öfter durch die Straßen schlendern zu sehen. Am Anfang war es schon schwieriger.

teleschau: Weil ein Fan-Moment den nächsten gejagt hat?

Judith Hoersch: So ungefähr. Viele Leute kamen auf mich zu und fragten nach einem Foto. Aber ich kann mich ja schlecht verbarrikadieren, und meine Tochter will auch ins Schwimmbad wie alle anderen oder auf den Spielplatz. Gott sei Dank hat das recht schnell nachgelassen, dass ich als eine Art Attraktion gesehen wurde. Man will auch mal privat sein.

teleschau: Wahrscheinlich ein Luxus als Schauspieler - und vielleicht auch eine besondere Situation für Ihre kleine Tochter?

Judith Hoersch: Sie kennt das alles nicht anders - auch die Sache mit unseren beiden Wohnorten. Wir haben hier viele Lieblingsplätze, die ich natürlich nicht verrate (schmunzelt). Aber eines kann ich sagen: Ich gehe sehr gerne wandern. Fast in jeder Drehpause bin ich losgezogen und habe die Gegend erkundet. Es ist schon vorgekommen, dass ich einen Berg hochgelaufen bin, auf der falschen Seite wieder runter und dann festgestellt habe, dass ich noch zwölf Kilometer zum Auto laufen muss (lacht). Aber das passiert Stadtmenschen eben - der Klassiker.

teleschau: Bei Weitem nicht der einzige Unterschied zwischen Städtern und Landsleuten, oder?

Judith Hoersch: Das stimmt. Vor allem in Sachen Mentalität gibt es einen krassen Unterschied zwischen Berlin und Bayern. Hier, in Berchtesgaden, ist alles so familiär - das ist eine total andere Community, als ich es aus Berlin kenne. Allerdings gibt es in Bezug zum Thema Weltoffenheit auch einige Unterschiede. Das ist nicht böse gemeint, aber hier muss ich schon noch manchen Leuten erklären, dass man das N-Wort nicht mehr sagen darf, dass es eine schreckliche Beleidigung ist. Und warum. Dafür ist Berlin sehr schmutzig, laut und hektisch.

teleschau: Ist es das Unverfälschte der Bergregion, das auch das Format auszeichnet?

Judith Hoersch: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die bodenständigen Figuren nicht unfehlbar sind - wie du und ich. Sie sind direkt aus dem Leben gegriffen - ungeschliffen sozusagen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass das Thema Geburt jeden anrührt. Jeder wird geboren, und viele werden selbst Eltern.

"Während der Pandemie haben wir nur mit Puppen gedreht"

teleschau: Drehen Sie mit echten Babys?

Judith Hoersch: Tatsächlich nicht so häufig wie viele Zuschauerinnen und Zuschauer vielleicht vermuten. Während der Pandemie haben wir nur mit Puppen gedreht, weil man anfangs nicht so recht wusste, wie sich Corona auf Babys auswirkt. Infolgedessen hatten wir auch einen mittelgroßen Shitstorm kassiert von der Community - vor unserer Erklärung. Damals war das so: Drehten wir mit echten Babys, waren auch immer die Mütter am Set. Sie trugen dann die gleichen Klamotten wie ich, wenn sie das Baby hochnahmen. Wenn ich es im Film halte, handelt es sich dann um eine Puppe.

teleschau: Man kann es sich kaum vorstellen, dass Mütter ihr Neugeborenes unbedingt in einer TV-Reihe unterbringen wollen.

Judith Hoersch: Sie sind ja immer dabei. Sie stehen neben der Kamera und sind ganz aufgeregt. Es ist tatsächlich sehr leicht, Mütter dafür zu finden - und ich sage ihnen immer, dass ich sie nicht fallen lasse (schmunzelt) und gut auf ihr Baby aufpasse.

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