Helmut Zierl im Interview: "Ich bin ein Landjunge geblieben!"

Er spielt im ARD-Film "Ich will mein Glück zurück" Nach dem elterlichen Rausschmiss und drei Monaten auf der Straße fand Helmut Zierl als 17-Jähriger den "roten Faden" in seinem Leben - die Schauspielerei. Gut 50 Jahre später ist er als liebestoller Gold-Bräutigam in "Ich will mein Glück zurück" zu sehen.

Wann immer das Gespräch den für ihn so schicksalhaften Hippie-Sommer 1971 streift, dreht Helmut Zierl richtig auf. Mit Pathos erzählt er davon, wie sein Vater ihn, den damals 16-Jährigen, vor die Tür setzte und er sich dann drei Monate lang auf der Straße herumtrieb. Sex, Drugs und Rock'n'Roll immer dabei, aber auch sehr viel Elend, die geballte Lebenserfahrung eben, wie er sagt. Dabei kennt man Zierl vor allem aus eher gediegenen Rollen wie "Traumschiff", "Die Inselärztin" und "Rosamunde Pilcher". Dennoch: Die Idee einer goldenen Hochzeit auf einem Ausflugsdampfer, wie sie sein Protagonist in dem hochkarätig besetzten Film "Ich will mein Glück zurück" (Freitag, 16. Februar, 20.15 Uhr, im Ersten) feiert, wehrt Helmut Zierl, der mit einer 30 Jahre jüngeren Frau liiert ist, lachend ab. Er möge es lieber unangepasst, und Partys seien eh nicht sein Ding, sagt der 69-Jährige. Doch zu einem besonderen Anlass "alle" um sich zu scharen, das gefalle ihm. Der Vater von drei erwachsenen Söhnen, fraglos einer der beliebtesten TV-Stars seiner Generation, spricht im Interview über das Älterwerden - und über Influencerinnen in TV-Rollen.

Wohnt die Leidenschaft neben der Jugend?

teleschau: Ihre Figur Paul in "Ich will mein Glück zurück" hadert sehr mit dem Älterwerden und will noch mal durchstarten. Was bedeutet das Älterwerden für Sie?

Helmut Zierl (überlegt): Es gab zwei Zahlen im Laufe meines Lebens, die mich erschreckt haben: einmal die 30, die fand ich ganz furchtbar, und dann die 60, weil ich finde, es gibt keine Zahl, die so unsexy klingt wie die 60. Im Oktober werde ich 70. Die Zahl macht mir keine Angst mehr, seit ich begriffen habe, dass es wirklich nur eine Zahl ist. Mein Lebensgefühl bleibt das gleiche. Am Klischee, dass man immer so alt ist, wie man sich fühlt, ist viel dran.

teleschau: Ihr Arbeitspensum hat wenig von dem eines Rentners ...

Helmut Zierl: Das stimmt. Ich arbeite nach wie vor viel, schreibe Bücher, habe gerade über 100 Lesungen hinter mir. Ich arbeite weiter, weil ich sehr viel Post bekommen habe mit der Frage, wie es kam, dass ich schon 14 Monate nach der chaotischen Tour, die ich mit 16 Jahren gemacht habe, auf einer Schauspielschule war. Darüber schreibe ich jetzt. Und natürlich genieße ich meine Freizeit, wenn ich sie denn habe,

teleschau: Wie kamen Sie nach dem Rausschmiss aus dem Elternhaus und der dreimonatigen Hippie-Tour, von der Sie in Ihrem ersten Buch berichten, auf die Schauspielschule?

Helmut Zierl: Das war ein großes Wunder! Ich hatte eine Begegnung mit einem Freund, der erzählte, er werde demnächst auf eine Schauspielschule gehen. Da dachte ich, das könnte auch was für mich sein. Also latschte ich da hin, kriegte einen Termin, hatte ein komisches, wirklich einzigartiges Vorsprechen (lacht), und bestand. Dann die Schauspielschulzeit selber, die eine der schönsten Zeiten meines Lebens war, unglaublich toll. Vielleicht schreibe ich noch über die ersten Jahre am Theater.

teleschau: Ihre Figur Paul sagt an einer Stelle: "Die Leidenschaft wohnt direkt neben der Jugend". Stimmt das?

Helmut Zierl (lacht): Der Paul ist ein Hallodri und hat seine Frau (gespielt von Michaela May, d. Red.) scheinbar öfter betrogen, dann aber gemerkt, wie tolerant sie ist. Das führt bei ihm dazu, dass er es doch hin und wieder noch mal versucht hat, denn es war ja letztendlich alles nicht so schlimm. Ihm scheint Sexualität sehr wichtig zu sein. An einer anderen Stelle des Films sagt er: "Nach 50 Jahren Ehe bleibt doch nur noch Löffelchen, liegen und kuscheln." Da scheinen in ihm doch noch andere Gefühle zu schlummern.

teleschau: Können Sie die Figur verstehen, oder finden Sie, dass Paul total auf dem Holzweg ist?

Helmut Zierl: Ich habe die Rolle wahnsinnig gern gespielt. Paul mit seiner Großmäuligkeitist ist nicht eindeutig ein Arschloch, nur weil er sich oft unsensibel verhält. Er hat ja begriffen, was er an seiner Ulla hat. Zum Schluss kämpft er um sie, sogar mit Tränen. Es ist eine tolle Komödie, die aber auch viele nachdenkliche Stellen hat und sehr berührt. In einer Szene mit der Enkelin habe ich schallend gelacht, als sie rief: "Was kann ich denn dafür, wenn die Alten alle rumficken!"

"Lieber Gott, lass mich die ganze Welt sehen!"

teleschau: Sie haben schon auf den turbulenten Sommer, den Sie mit 16 Jahren erlebten, angespielt. Diese Abenteuerlust, die Sie damals sehr offensichtlich hatten, ist davon noch was da?

Helmut Zierl: Aber ja! Als kleiner Junge im einsamen Dithmarschen betete ich immer: "Lieber Gott, lass mich bitte irgendwann mal die ganze Welt sehen!" Allein die Namen "Brasilien" und "Ceylon", was heute Sri Lanka ist, haben in mir so unendlich viel Fernweh ausgelöst. Dann habe ich durch meinen Beruf die ganze Welt gesehen und auch privat noch viel draufgelegt. Ich reise immer noch gerne. Wenn man das mit Abenteuerlust gleichsetzt, dann wäre das meine Art.

teleschau: Wohin reisen Sie am liebsten?

Helmut Zierl: Ich habe ein kleines Dorfhaus in Südfrankreich. Da bin ich oft und gerne. Kürzlich war ich am Nordkap, wo ich niemals hingefahren wäre, wenn ich nicht mit meinem Buch diese Kreuzfahrt gemacht und an Bord vorgelesen hätte. Aber eigentlich zieht es mich immer in den Süden. Ich war mal in der Südsee, und jetzt würde ich gern nach Französisch-Polynesien. Den afrikanischen Kontinent kenne ich nicht so gut, der reizt mich sehr.

teleschau: Hat Ihnen der Rausschmiss damals eher geschadet, weil Sie dadurch auch viel Schlimmes erlebt und mit Drogen experimentiert haben, oder eher genutzt?

Helmut Zierl: Mein Vater hat mich zwar rausgeschmissen, aber das war sehr im Affekt. Als Polizeidorfsheriff wusste er genau, dass man 16-Jährige nicht einfach auf die Straße setzen kann. Er wollte meine Mutter schützen, die weinend vor mir stand. "Raus mit dir, wir wollen dich hier nicht mehr sehen", rief er. Nie im Leben hat er damit gerechnet, dass ich hochgehe, meinen Rucksack nehme und wirklich gehe, drei Monate lang, und dabei fast umgekommen wäre, als ich am Ende in dieser Drogen-WG landete. Das war schon sehr heftig. Im Nachhinein würde ich sagen, es hat mir nicht geschadet, im Gegenteil. Es hat mir gutgetan, weil ich dadurch schon mit 16 Jahren so einen enormen Schub an Lebenserfahrung bekam, der mich mein ganzes Leben lang beeinflusst hat.

teleschau: Inwiefern?

Helmut Zierl: Es hat etwas freigemacht wie Toleranz und Respekt. Ich habe keine Berührungsängste mit Menschen, denen es nicht so gut geht, und kann offen auf die zuzugehen und denen helfen. Bis heute kann ich kaum an Stadtstreichern vorbeigehen, ohne dass ich doch ein, zwei Euro dalasse.

teleschau: Sie hatten das Glück, dass es am Ende für Sie gut ausging, obwohl Sie auch mit Drogentoten konfrontiert waren. Wie hätten Sie reagiert, wenn in dem Alter einer von Ihren drei Jungs seinen Rucksack gepackt und sich aus dem Staub gemacht hätte?

Helmut Zierl: Es kommt ja alles im Leben zurück. Mein mittlerer Sohn war mit 14 Jahren mal drei Tage als Punker am Hauptbahnhof. Der war damals schon über 1,90 Meter groß und wirkte immer älter mit seinem Irokesenschnitt. Ich bin fast durchgedreht vor Sorgen. Spätestens in dem Moment begriff ich, was meine Eltern durchgemacht haben, als ich drei Monate weg war. Aber ich fühlte mich im Recht.

Mit Leib und Seele Vater

teleschau: Was für eine Art von Vater sind Sie?

Helmut Zierl: Ich war sehr tolerant, vielleicht zu sehr, und habe meinen Söhnen viel durchgehen lassen, weil ich dachte, die finden sich schon selber zurecht. Ich war mit Leib und Seele Vater, allerdings immer mit schlechtem Gewissen, weil ich gerade als die Kinder klein waren so unendlich viel gearbeitet hatte. In den 90-ern spielte ich sieben Serien-Hauptrollen. da blieb wenig Zeit für die Familie. Wenn ich dann zu Hause war, gab es für mich nur noch Kinder, Kinder, Kinder. Das führte dazu, dass ich freitagabends kam und mich freute, dass die Kinder noch auf waren. Dann wollte meine Ex-Frau sie ins Bett stecken, und ich sagte: "Lass sie doch noch eine Stunde mit mir spielen." Da gab es Streit, weil sie fand, ich falle ihr in den Rücken. Ich habe versucht, so viel Zeit wie möglich mit den Kindern zu verbringen.

teleschau: Immerhin waren Sie mit Ihren Kindern im Baumarkt, wo eins eine Toilette in der Bäderausstellung benutzte, wie Sie vor Jahren in der "Harald Schmidt Show" erzählten ...

Helmut Zierl (lacht sehr): Das ist bis heute eine meiner Lieblingsgeschichten! Er hatte ja alles richtig gemacht!

teleschau: Sie sagten mal "Einmal Hippie, immer Hippie". Sind Sie immer noch ein Hippie?

Helmut Zierl: Das ist Definitionssache. Es gab schon in den 70er-Jahren unheimlich viele Klischees über die "ungepflegten Langhaarigen mit ihren speckigen Parkas, die kiffen". Was den Drang betrifft, mich nicht allzu sehr anzupassen, mein Leben mit meiner Lebensgefährtin Sabrina zu leben und mich über Konventionen hinwegzusetzen, dann sicher, denn das mache ich nach wie vor. Ich war auch nie der Schauspieler, der ewig über den roten Teppich stapfen möchte. Auch Sabrina als Sozialpädagogin ist das egal. Ich bin mit Leib, Seele und Überzeugung ein Landjunge geblieben und habe hier mehr Möglichkeiten, meine Freiheit auszuleben, um die Seen zu laufen, Lagerfeuer zu machen, Freunde einzuladen und unabhängig zu sein als in der Stadt.

teleschau Wo man auch häufiger erkannt wird.

Helmut Zierl: Ich habe früher sehr über Lütjensee geschimpft. Dann kam ich ausgerechnet in das Dorf zurück, das ich damals mit Glanz und Gloria verlassen wollte, wo die Dorfbevölkerung so wunderbar gelassen und geerdet, normal und norddeutsch ist. Als ich dort wieder auftauchte, war noch der selbe Tankwart da, und er sagte nur: "Moin Helmut." Ich war nicht der Fernsehstar, der zurückkam, sondern der Helmut von früher.

teleschau: Wie lebten Sie als Junge in Lütjensee?

Helmut Zierl: Wir wohnten damals in einem Polizeigehöft. Unten gab es ein Dienstzimmer, das war die Polizeistation, dazu ein Wohnzimmer, zwei Kinderzimmer, ein Schlafzimmer und ein Bad. Im Dienstzimmer haben wir damals noch mit Kohle und Briketts geheizt. Mein Zimmer war damit durch ein Ofenrohr verbunden. So konnte ich immer den Vernehmungen, die mein Vater mit den Schwerkriminellen des Ortes macht, zuhören. Und dann wusste ich wieder, wer ohne Licht Fahrrad gefahren war (lacht).

Till Eulenspiegel und Jesus vor der Schauspielschule

teleschau: Was mögen Sie an Norddeutschland?

Helmut Zierl: Ich bin in Schleswig-Holstein geboren, lebe hier, und ich liebe an diesem Land die Ostsee, die Nordsee, die Inseln, die Plöner Seen, die Endmoräne, hier zu Hause in Lütjensee die Seen und dazu eine der schönsten Städte der Welt, Hamburg, direkt vor der Haustür. Das liebe ich an Norddeutschland!

teleschau: Wo sähen Sie sich heute, wenn es den Rausschmiss vom Papa nicht gegeben hätte?

Helmut Zierl: Wenn die Begegnung mit dem Jungen, mit dem ich damals eng befreundet war, auch so stattgefunden hätte, wäre es möglicherweise in die gleiche Richtung gegangen. Als wir in der Schule Till Eulenspiegel als Thema hatten und der Lehrer daraus ein Theaterstück machte, wer spielte wohl den Till? Ich. Beim Konfirmandenunterricht wollte der Pastor die Christusgeschichte aufführen und besetzte mich als Jesus. Die entdeckten offenbar etwas in mir, was ich selber noch gar nicht realisiert hatte. Durch diesen Freund hatte ich mit 17 Jahren den roten Faden für mein Leben gefunden. Ich habe das nicht bereut und bin bis heute gerne in diesem Beruf.

teleschau: Die Drogen sind Geschichte. Gibt es andere Laster, von denen Sie ungern die Finger lassen würden?

Helmut Zierl: Richtige Laster habe ich nicht. Alkohol hat mir nie etwas bedeutet, damit habe ich nichts am Hut. Natürlich trinke ich mal ein Bier oder ein, zwei Gläschen Wein, aber wenn ich alleine zu Hause bin, nie. Ich habe vor langer Zeit das Rauchen aufgegeben. Aber ich bin ein Nachtmensch und gehe fast nie vor ein Uhr ins Bett. Ich schlafe gerne lange, das gab früher immer schon Anlass zum Streit, wenn ich mir anhören musste: "Der ganze Tag ist wieder weg!" Aber ich bin ausgeschlafen, ist doch toll! (lacht).

teleschau: Zieht Nachtmensch Zierl gerne um die Häuser?

Helmut Zierl: Nee, Partys und Discos sind gar nicht mein Ding. Ich stolpere in die Nacht rein, dann lese ich gerne, spiele im Internet Backgammon oder Sudoku und ich zocke gern mit Freunden. Gestern hatte ich eine Skatrunde hier, das mache ich schon seit Ewigkeiten. Ich finde, es reicht, wenn man Silvester oder beruflich bedingt mal auf eine Party geht. Ich höre gern Musik oder schaue fern, aber ich bin keiner, der sich an drei Abenden 30 Folgen einer Netflix-Serie anguckt. Dann schon eher einen ausgewählten Film. Ich mache nach wie vor sehr viel Sport, jogge, spiele Tennis und gehe ins Fitnessstudio. Ich kann aber auch sehr gut allein sein.

teleschau: Was ist Ihre Meinung zu der zuletzt häufig geführten Diskussion darüber, dass immer mehr Influencer, die keinerlei Schauspielausbildung haben, in Filmen wie "Traumschiff" mitspielen?

Helmut Zierl: Ich weiß, der Aufschrei war groß, als Florian (Silbereisen) "Traumschiff"-Kapitän wurde. Als ich die Folge "Mauritius" drehte, war an Bord auch eine nette Influencerin, die nichts weiter macht, als ein paar Privatfotos ins Netz zu stellen. Ich bin ziemlich sicher, dass von ihren sieben Millionen Followern eine Million eingeschaltet hat, als sie postete: "Hey, ich bin morgen im Traumschiff!" Insofern sind die Redakteure clever, das zu nutzen. Es beschädigt den Berufsstand, aber der Florian zum Beispiel spielt prima. Er nimmt gar nicht für sich in Anspruch, das besser zu können. Ein ganz toller, sympathischer Mann. Die Influencerin hatte auch keine großen Textpassagen, ist aber gut fotografiert worden. Insofern ist das okay, es geht allerdings nur über ein Format wie "Traumschiff". Man kann keinen Psychothriller drehen und dann noch drei Influencerinnen darin unterbringen (lacht).

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