Meteorologe Sven Plöger: "Bin kein Ideologe oder Missionar, sondern ein Übersetzer von Wissenschaft"

ARD-Wetterexperte im Interview Wird unser Wetter immer extremer? ARD-Meteorologe Sven Plöger widmet sich in seiner neuen Doku den Folgen des Klimawandels. Ob wir diese auch in Europa bald spüren, wie Aufklärung trotz aller Hetze gelingt und warum er in der Klimakrise weiter Hoffnung hegt, erklärt der Wissenschafter im Interview.

Hitzewellen, Wirbelstürme, heftige Niederschläge: Extreme Wetterereignisse nehmen rund um den Globus zu. Als wichtigste Ursache gilt laut Forschung die Erderwärmung - 2023 ging als bisher wärmstes Jahr in die Statistik ein. Was kommt noch auf uns zu? Wissenschaftliche Expertise ist gefordert: "Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger?", fragt eine TV-Dokumentation zur Montagsprimetime im Ersten (15. April, 20.15 Uhr). Der Film begleitet den ARD-Meteorologen auf Spurensuche nach Panama, wo er die Folgen des Klimawandels aus nächster Nähe beleuchtet. Seit Jahren klärt Sven Plöger nicht nur als Wettermann und Klimaexperte im TV, sondern auch in seinen Büchern und Vorträgen auf. Weshalb die Klimakrise trotz aller Fakten noch immer angezweifelt wird, was es zur medialen Aufkärung gegen Hetze im Netz braucht und weshalb er in der Klimakrise dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft blickt, erklärt der 56-Jährige im Interview.

teleschau: Ihr neuer ARD-Film beginnt mit dem augenzwinkernden Hinweis, doch bitte dranzubleiben, auch wenn nun schon wieder eine Klimadoku läuft. Weshalb haben Sie sich für diesen etwas ironischen Einstieg entschieden?

Sven Plöger: Das haben wir gemacht, weil im Fernsehen natürlich viel zum Klimathema zu sehen ist. Es kommt oft, und das ist gut so. Aber wir leben heute in einer Phase, in der sich viele Krisen überlagern. Das finden viele Menschen anstrengend. Und dann läuft 20.15 Uhr in der ARD schon wieder was zum Klima. Daher wollten wir gleich mal Aufmerksamkeit schaffen nach dem Motto: Halt! Vielleicht ist hier ein bisschen was anders, als Sie es sich spontan vorstellen, wenn sie das Wort "Klima" hören.

teleschau: Bekommen Sie zu Ihren TV-Formaten denn viele Rückmeldungen - auch negativer Art?

Plöger: Ich habe einen guten Trick: Ich bin nicht in den sozialen Medien, das erspart mir vieles. Und es lässt mir viel Zeit für Dinge, die mir wichtig sind. Was bringt mir eine riesige Zahl anonymer Follower? Mir ist der direkte Austausch mit Menschen viel wichtiger.

teleschau: Inwiefern?

Plöger: Etwa nach Vorträgen. Es gibt so viele Leute, die sich ernsthafte, kluge Gedanken machen, die sie mir mitteilen. Da herrscht ein Vertrauen zu mir als "Erklärbär". Ich bin kein Ideologe oder Missionar, sondern ein Übersetzer von Wissenschaft. Auch meine Bücher waren ja auch deshalb Bestseller, weil sich offensichtlich sehr viele Menschen für das Thema interessieren. Ich erhalte eine Unzahl von Mails, in denen Menschen intelligent ihre Ideen, aber auch ihre Sorgen beschreiben. Daran sehe ich, dass es nicht nur Shitstorms, Angriffe und diesen ganzen dümmstmöglichen Unfug gibt - und das macht mir Hoffnung.

"Wir müssen lernen, evolutionäre Prägung zu überwinden"

teleschau: Trotzdem scheinen die Folgen des Klimawandels kaum Auswirkungen auf das Handeln sowohl der Politik als auch der breiten Bevölkerung zu haben.

Plöger: Das ist menschlich. Wir sind so. Und das ist psychologisch durch zwei Prozesse erklärbar. Einmal, weil der Anteil jedes Einzelnen an der Gesamtwirkung wahnsinnig gering ist. Niemand sieht den Schaden, den man selbst anrichtet, und leider auch nicht die Verbesserung, die man bewirkt. Der zweite wichtige Punkt ist, dass der Klimawandel ein schleichender Prozess ist. Er entzieht sich unserem eigenen Zeitgefühl.

teleschau: Können Sie das ausführen?

Plöger: Es geht um Zeiträume über Jahrzehnte und möglicherweise über das eigene Leben hinaus. Wir müssen quasi evolutionäre Prägungen versuchen zu überwinden. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Wir verändern uns ungern, um unsere Kräfte zu sparen, um sie bei konkreter Bedrohung einsetzen zu können. Bezogen auf den Klimawandel ist die Bedrohung aber noch nicht akut genug, sondern irgendwann passiert irgendjemandem irgendwo irgendwas. Das ist so unkonkret, dass wir sofort relativieren: Vielleicht bin ich ja nicht betroffen? Vielleicht kommt es ja doch nicht so, wie die Wissenschaft das annimmt? Das sind Schutzprozesse, um mit dem eigenen Abwarten im Reinen zu sein.

teleschau: Für die Bekämpfung des Klimawandels sind diese Prozesse nicht unbedingt förderlich, oder?

Plöger: Nein. Das ist schlecht. Wir müssen lernen, evolutionäre Prägung zu überwinden. Dafür braucht es nicht unbedingt tausende meteorologische Studien, die wiederkehrend bestätigen, was wir alle schon wissen. Sondern es braucht vor allem einen großen Psychologen, der uns auf die Sprünge hilft.

teleschau: Was kann eine Dokumentation in der ARD da ausrichten - und wie sehen Sie Ihre Rolle darin?

Plöger: Früher war ich ja Meteorologe, der "nur" das Wetter vorhergesagt hat. Seit 20 Jahren halte ich das Klimathema für gesellschaftspolitisch sehr relevant. Ich habe eines gelernt: Klimakommunikation ist echt schwer. Sie gelingt oft nicht. Schwierige Naturwissenschaft zu übersetzen ohne zu missionieren, ist eine Gratwanderung. Ich glaube, dass ich hier etwas beitragen kann.

teleschau: Welche Strategie kann da erfolgreich sein?

Plöger: Humor kann helfen, den Klimawandel zu erklären. Dann bleibt was hängen. Eine Haltung zu entwickeln, fällt schwer, wenn jemand kommt und sagt: Du musst so und so denken. Dann gibt es eine Art "pubertären Widerstand". Wird aber Haltung aus Wissen heraus generiert und auch spannend transportiert, dann hat man eine Chance. Ich glaube, eine gelungene Form der Wissensvermittlung ist im Fernsehen "Haltung und Unterhaltung". Wissensvermittlung sollte gemocht werden.

"Man muss sehr viel Spontaneität mitbringen"

teleschau: Ist das Format der TV-Dokumentation für diese Vermittlung am geeignetsten?

Plöger: Wenn man mich fragt, was ich beruflich am liebsten mache, könnte ich natürlich vieles sagen - Bücher, Vorträge, Wettermoderation. Aber das Doku-Machen ist schon eine sehr spannende Arbeit im Team. Man muss sehr viel Spontaneität mitbringen, Ich bringe inhaltlich sicher nicht wenig ein - aber ich nehme auch sehr viel wieder mit.

teleschau: Für die aktuelle Doku haben Sie sich nach Panama begeben, um dort Phänomenen wie El Niño und dem Klimawandel auf den Grund zu gehen ...

Plöger: Das Spannende an Panama war, dass dort vieles zusammenkommt: Einerseits eine intakte Natur mit Regenwald, andererseits die riesige hochmoderne Stadt Panama City. Und dann ist da noch eine der Lebensadern unserer Wirtschaft - der Panamakanal. Da fahren die riesigen Schiffe mitten durch den Regenwald. Natur berührt Ökonomie. Hinzu kommt das Klima. Dort zeigt sich das - übrigens gerade aktuelle - Naturphänomen El Niño, das durch zu wenig Niederschlag und damit zu wenig Süßwasser für die Schleusen zum Beispiel dafür sorgt, dass sich die Schiffe vor dem Kanal stauen. Wissenschaftlich interessant ist die Frage, ob durch den Klimawandel eine Art permanenter El Niño entstehen kann.

teleschau: Das müssen Sie näher erläutern!

Plöger: El Niño ist ein Wetterphänomen, das regelmäßig auftritt und über die Jahre stärker geworden ist. Im Grunde ist es eine Warmwasseranomalie im Pazifik, die sich auf den gesamten Globus auswirkt und Extremwetter-Phänomene auf der ganzen Welt entstehen lässt. El-Niño-Jahre sind gewöhnlicherweise Warmjahre. Der Klimawandel bewirkt nun aber, dass heute selbst manche Kaltjahre wärmer sind als frühere El-Niño-Jahre. Daran kann man sehen, wie das gesamte Temperaturgefüge steigt. Die Wissenschaft fragt sich nun, ob diese Änderung des Systems bewirken kann, dass bald ein dauerhafter El Niño mit seinen klassischen Wettermustern über die Welt läuft. Dann würden sich in vielen Regionen der Erde viele Dinge ändern.

"Der Klimawandel liegt auf einer anderen Zeitskala als die anderen Krisen"

teleschau: Müssen wir uns also auf extremeres Wetter einstellen - auch in Deutschland?

Plöger: In wärmerer Umgebung ist an sich mehr Power - und das schlägt sich als Extremwetter nieder. Für uns in Europa ist weniger der El Niño zuständig. Eine größere Rolle spielt etwa das arktische Eis. Wenn das Eis zurückgeht, bewirkt das letztlich eine höhere Wettervariabilität - also längere Trockenheit versus stärkere, heftigere Niederschläge. Das ist für viele Dinge schlecht, etwa für die Landwirtschaft. Man konnte das in den letzten Jahren an den Dürren und den Überflutungen beobachten. Auch der Jetstream könnte sich gegebenenfalls durch die Erderwärmung verändern - das ist alles miteinander verknüpft. Man muss aber auch betonen, dass das plausible Theorien sind, die weiterhin wissenschaftlich geprüft werden.

teleschau: Sehen Sie beim täglichen Wetter, dass sich die Dinge verändern?

Plöger: Was wir definitiv mit Blick auf die Daten feststellen: Es gibt eine Zunahme der Extremwetterereignisse - darauf hat die Forschung schon vor 30 Jahren hingewiesen. Im Wetterbericht spielt die Warnung vor Unwettern daher eine immer größere Rolle.

teleschau: Aber Sie sagen auch, dass der Klimawandel "haptisch" wird - also für jeden erlebbar?

Plöger: Genau. Deshalb beginnen sich Menschen ja Sorgen zu machen. Die schauen nicht auf die Daten, sondern sehen, dass es jahrelang zu trocken war. Die Deutschen lieben die Natur - und wenn man etwa in den Harz schaut, ist man geschockt. Wir sehen, dass sich Dinge verändern. Dass Flüsse oft weniger Wasser führen. Dass der Borkenkäfer die Wälder angreift, weil sie durch die Trockenheit geschwächt sind. Wir spüren die Hitze. Und dass wir im Gegenzug jetzt plötzlich viel zu viel Regen erleben - extreme Gegensätze also.

teleschau: Erhöht diese persönliche Betroffenheit die Relevanz des Themas Klimawandel?

Plöger: Unwetter verstärken die Aufmerksamkeit für den Klimawandel. Würden sich wieder Flutkatastrophen oder Dürren ereignen - was wir uns alle nicht wünschen - dann würde das Thema wieder nach oben gelangen. Das sah man bei den Waldbränden 2018 und 2019, die zur Gründung von Fridays For Future beitrugen. Aber es ist andererseits auch sehr menschlich, dass diese Aufmerksamkeit wieder verloren geht. Ein Langzeitthema wie der Klimawandel gerät immer wieder ins Hintertreffen. Das ist schon seit den 80er-Jahren so, als uns bewusst wurde, dass man den Planeten nicht übernutzen darf. Der Klimawandel liegt auf einer anderen Zeitskala als die anderen Krisen. Er fällt zurück. Das sehen wir aktuell: Andere Krisen und Kriege stehen im Vordergrund. Der Angriff Russlands auf die Ukraine, der Krieg in Gaza, die Finanz- und Energiekrise - dies alles kommt zusammen, und die Klimakrise "oben drüber". Wir wissen, dass wir nicht alles nacheinander abarbeiten können, sondern alles gleichzeitig passieren muss. Diese Realität macht den Menschen Sorgen und Ängste, die wiederum Populisten für sich nutzen können.

"Wenn ich Dinge tue, die der Mehrheit missfallen, nehme ich die Leute nicht mit"

teleschau: Viele junge Aktivistinnen und Aktivisten sagen, man müsse jetzt handeln und die Aufmerksamkeit mit großen Aktionen auf sich lenken.

Plöger: Ich kann die jungen Menschen verstehen, die länger auf diesem Planeten leben und mit den Schäden leben müssen, die die anderen verursacht haben. Wir können nicht warten, aber müssen mit dem Nachteil der menschlichen Behäbigkeit leben. Die Frage muss lauten, wie man die Masse erreicht. Wenn zehn Prozent Idealisten richtige Dinge tun, ist das gut und sollte gelobt werden. Aber das hilft nicht, wenn der Rest abwartet. Also muss ich die Menschen mitnehmen.

teleschau: Wie kann das gelingen?

Plöger: Das Klimakleben hat gezeigt, dass man damit die meisten Leute verprellt. Ob es schlecht oder gut ist - völlig egal. Wenn ich Dinge tue, die der Mehrheit missfallen, nehme ich die Leute nicht mit. In der eigenen Blase spürt man, aktiv etwas zu tun, aber "draußen" wird die Gegnerschaft größer. Wie bekommen wir also möglichst viele ins Boot? Das ist schwierig, wenn die Gesellschaft in zwei Teile gespalten wird. Was ich glaube: Wir müssen wieder mehr positive Geschichten erzählen. Wir müssen die Erfolge feiern.

teleschau: Zum Beispiel?

Plöger: Es passiert viel auf wirtschaftlicher Ebene. Es gibt im Mittelstand viele Firmen mit geeigneten Ideen. Auch in größeren Konzernen steigt das Bewusstsein für Klimaschutz. Wir haben leider eine unglückliche Perspektive: "bad news are good news". Wir konzentrieren uns auf das Negative. Deshalb sind wir viel schneller beim Gedanken an Dystopie und Apokalypse. Klar: Man muss ohne Schönreden die Wirklichkeit erklären. Ich finde aber, es braucht mehr Positivgeschichten, die motivieren. Dazu kann ich vielleicht etwas beitragen.

teleschau: Gibt es also noch Hoffnung, was den Klimawandel betrifft?

Plöger: Solange die Wissenschaft sagt, dass es theoretisch möglich ist, will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Ich weiß, dass Optimismus zu haben, heute schnell als naiv empfunden wird. Aber Pessimismus als Lebensgrundlage? Das will ich nicht. Natürlich gibt es Fehler im System: Solange derjenige, der die Umwelt verschmutzt, reicher werden kann, werden wir das Falsche tun. Aber eine sich selbst bestätigende Prognose à la "das schaffen wir sowieso nicht" hilft ja auch nicht. Wir brauchen eine Haltung, die aus den Erkenntnissen abgeleitet ist. Wenn wir das schlauer machen als bisher, sehe ich Hoffnung.

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