Vergewaltigung oder nicht? - Ina Weisse über "Sie sagt. Er sagt. von Ferdinand von Schirach"

ZDF-Gerichtsdrama In "Sie sagt. Er sagt. von Ferdinand von Schirach" spielt Ina Weisse eine TV-Moderatorin, die ihrem Ex-Liebhaber (Godehard Giese) vorwirft, sie vergewaltigt zu haben. Er sieht es anders. Das Gerichtsdrama, zu dem Ferdinand von Schirach auch das Drehbuch schrieb, ist ein TV-Highlight des Jahres 2024.

Im Gerichtsdrama "Sie sagt. Er sagt. von Ferdinand von Schirach" (Montag, 26. Februar, 20.15 Uhr, ZDF) spielt Ina Weisse eine bekannte TV-Moderatorin, die ihren langjährigen heimlichen Geliebten wegen Vergewaltigung anzeigt. Der Beschuldigte, gespielt von Godehard Giese, sagt hingegen aus, der Sex sei einvernehmlich gewesen. Das Drehbuch, geschrieben von Starautor und Jurist Ferdinand von Schirach, lässt Zuschauende geschickt Perspektiv- und Meinungswechsel erfahren, sodass der brillant gespielte und inszenierte Film eine wahre Gefühlsachterbahn auslöst. Ina Weisse ist selbst Filmemacherin ("Das Vorspiel") und dazu mit dem Regisseur Matti Geschonneck ("Die Wannseekonferenz"), den Macher des neuen von Schirach-Gerichtsdramas verheiratet. Im Interview erzählt die Schauspielerin, wie schwer es ist, das Thema "Vergewaltigung oder nicht?" in einen Film zu verwandeln.

teleschau: "Sie sagt. Er sagt. von Ferdinand von Schirach" spielt fast ausschließlich im Gerichtssaal und wirkt wie ein Theaterstück. Hat man einen solchen Film in entsprechend kurzer Zeit gedreht?

Ina Weisse: Nein, überhaupt nicht. Auch wenn der Film nur in einem Raum spielt, heißt das nicht, dass es dort leichter ist zu drehen. Im Gegenteil. Es gibt viele Personen, lange Textpassagen. Der Film ist mit großer Sorgfalt in allen Bereichen entstanden.

teleschau: Ihre Figur schildert in einem langen Monolog, wie Sie vergewaltigt wurde. Eine beklemmende, intensive Szene. Kann man so etwas überhaupt in einem "Take" spielen?

Ina Weisse: Meine Figur war sehr präzise geschrieben. Sie erzählt am Anfang, was für ein Mensch sie vor der Tat war: selbstbewusst, klar, sicher - und wie sich nach der Tat ihr Leben geändert hat, wie sie ihr Selbstvertrauen verlor, ihre Sicherheit, ihre Würde. Sie fühlte sich nicht mehr ganz. Diese Bruchstelle beschreibt sie sehr genau. Ich empfinde die Figur als stark. Sie setzt sich dem Prozess aus. Sie durchbricht die Scham, ihre Intimität preiszugeben. Für die Dreharbeiten musste man lange die Konzentration beibehalten. Jeder Blick, jede Geste sagt etwas über den Zustand der Figur aus. Wie sie sitzt, was sie mit den Armen macht, mit den Händen. Und diese Entscheidungen mussten dann über einen langen Zeitraum, über mehrere Tage, durchgehalten werden.

"Natürlich geht es dabei um Vorurteile, die jeder hat"

teleschau: Fühlten Sie sich als Schauspielerin ein bisschen wie unterm Mikroskop?

Ina Weisse: Ja, der Vergleich trifft es ganz gut. Man kann nicht ausweichen. Alles ist sichtbar. Jeder Gesichtsausdruck könnte falsch gedeutet, jede Formulierung vonseiten der Verteidigung gegen einen verwendet werden. Und dazu ist die Kamera ganz nah auf dem Gesicht.

teleschau: Der Film erzählt davon, wie schwer es ist, die Wahrheit herauszufinden. Ist das bei der Frage einvernehmlicher Sex oder Vergewaltigung besonders schwierig?

Ina Weisse: Es ist kompliziert, weil Aussage gegen Aussage steht. Die Zuschauenden wissen so viel wie die Richterin und befinden sich im gleichen Dilemma, wem sie glauben sollen. Als ich den Film das erste Mal sah, wurde ich von einer Position auf die andere geworfen. Jede neue Aussage im Gericht stellte meine gefasste Meinung wieder infrage. Natürlich geht es dabei um Vorurteile, die jeder hat. Diese Vorurteile werden uns im Film vor Augen geführt. Die Gedanken, die sich die Zuschauenden über die Figuren machen, wen sie als schuldig oder unschuldig erachten, sagen also viel über ihr eigenes Menschenbild aus.

teleschau: Man lernt also über diesen Film, in dem das eigene Urteil infrage gestellt wird, sich selbst besser kennen?

Ina Weisse: Man merkt, welche Schlüsse man aus oberflächlichen Beobachtungen zieht. Und das ist die Stärke des Films: Es geht nicht um schuldig oder nicht schuldig, sondern um die Komplexität der Situation.

"Das 'nein' zählt immer"

teleschau: In einer starken Szene erzählt eine psychologische Gutachterin dem Gericht etwas über Vergewaltigungsmythen. Dazu gehört, welchen Opfer und Tathergängen man glaubt und welchen nicht ...

Ina Weisse: Und sie sagt, dass Film da eine große Rolle spielt, denn viele Mythen sind Klischees aus Filmszenen: dass der Tatort eine dunkle Gasse ist, der Täter unbekannt, dass man direkt nach der Tat diese Tat anzeigt. Die Gutachterin beschreibt die Realität anders: dass der Täter oft bekannt ist und dass es oft lange dauert, bis ein Opfer den Mut aufbringt, die Tat zur Anzeige zu bringen.

teleschau: Haben Sie eine Antwort auf die Frage: Was ist einvernehmlicher Sex?

Ina Weisse: Ich denke, das Paar in der Geschichte weiß das ganz genau, wann die Freiwilligkeit in der Berührung aufhört. Meine Figur beschreibt den Hergang der Vergewaltigung sehr detailliert. Das nimmt ihm die Zwangsläufigkeit. Sie zeigt, dass der Mann immer wieder die Möglichkeit gehabt hätte, anders zu handeln, aufzuhören. Das macht sie mit ihrer genauen Beschreibung deutlich.

teleschau: Ist die Frage nach der Einvernehmlichkeit komplizierter, wenn sich Täter und Opfer gut kennen, wenn sie ein Paar sind oder waren?

Ina Weisse: Sie waren in dem Film ein Liebespaar, aber das "Nein" zählt immer.

"Der Film zeigt, wie kompliziert die Wahrheit in Wirklichkeit ist"

teleschau: Sie sind mit dem Regisseur des Films verheiratet. Wie ist das bei so einer intensiven Arbeit?

Ina Weisse: Wir arbeiten gerne zusammen. Sich zu kennen, erleichtert die Arbeit. Spielt aber dann während eines Drehtages eigentlich keine große Rolle. Da geht es dann nur um die Sache.

teleschau: Sie sind selbst nicht nur Schauspielerin, sondern auch Filmemacherin. Wie oft wird daheim über Filme diskutiert?

Ina Weisse: Natürlich schon öfter.

teleschau: Am Ende des Films heißt es: "Nur die strengen Regeln der Strafprozessordnung schützen uns vor dem voreiligen Griff nach der Wahrheit." Ist das ein Mahnsatz für unsere Zeit, in der es immer mehr darum geht, die eigene Meinungen herauszublasen?

Ina Weisse: Die sozialen Medien erleichtern die anonyme Diffamierung. Das bekommt meine Figur sehr zu spüren. Sie steht ja in der Öffentlichkeit. Jeder hat sofort eine Meinung, alle scheinen alles zu wissen, die jeweils andere Ansicht wird diffamiert und niedergeschrien. Der Film zeigt, wie kompliziert die Wahrheit in Wirklichkeit ist.

"Man muss sich für eine gleichberechtigte Gesellschaft einsetzen"

teleschau: Wie kommen wir aus dem Empörungs-Modus wieder raus?

Ina Weisse: Mit Empathie. Und dem Willen, einander zuzuhören. Auch, wenn die Meinungen unterschiedlich sind.

teleschau: Sie sprechen eine gute Debattenkultur an, die sich viele momentan wieder wünschen und die doch so fern erscheint.

Ina Weisse: Man muss für sie eintreten, gerade in dieser Zeit, in der rechte Bewegungen stärker werden und in denen Frauenhass, Antisemitismus und Menschenverachtung alltäglich sind. Man muss sich für eine gleichberechtigte Gesellschaft einsetzen. Deshalb machen die Demonstrationen gerade Mut.

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