Ich würde ja sagen "wir haben es euch ja gesagt" oder vielmehr "mit Electric Callboy wär das nicht passiert" oder "die Klatsche hat der NDR verdient". Aber wer wäre ich, wenn ich das sagen würde? Es bringt ja doch nichts mehr. Der Drops ESC 2022 ist gelutscht und der arme Malik Harris ist das Opfer. Der NDR hat einen sehr guten Musiker zum ESC geschickt, der da leider so gar nicht hineinpasste und der von Vornherein keine Chance hatte. Jetzt muss er den Hohn vom letzten Platz vom ganzen Land spüren. Sechs ganze Punkte hat er gestern Abend beim ESC-Finale vom Publikum bekommen und damit mehr als vier andere Länder, wie zum Beispiel die Schweiz (Marius Bear), die 0 Punkte erhielt. Aber dafür haben die anderen Länder von den internationalen Jurys Punkte bekommen, alle außer Deutschland. Damit blieben wir insgesamt Letzter. Davon konnte auch das äußerst auffällige Kleid von Barbara Schöneberger nicht ablenken.

Das erste Problem: Der Vorentscheid

Im Vorfeld des Eurovision Song Contest war bereits klar: Die Kandidaten, die in den Vorentscheid eingezogen sind, hatten so gar nichts mit Vielfalt oder ESC-Appeal zu tun. Das begriff jeder außer der NDR und deren Popwellen, die für die Auswahl zuständig waren. Es hagelte enorme Kritik. Vor allem weil die Metalband Electric Callboy mit ihrem Gute-Laune-Sport-Song "Pump It" super beim nationalen und internationalen Publikum ankam. Obwohl es sogar eine Petition von über 100.000 Stimmen für eine Wildcard zum Vorentscheid gab, blieb der NDR trotzig, wie ein kleines Kind. Er ist und wäre niemals von seiner "tollen" Entscheidung abgewichen, jemanden anderen antreten zu lassen. Und so viel Kritik wie 2022 musste der Sender noch nie einstecken und das zurecht. Zumindest hatte ich ein bisschen Schadenfreude, dass wir gestern so schlecht abgeschnitten haben. Auch wenn es mir für Malik leid tat, aber das alles wäre vermeidbar gewesen… Electric Callboy, die gerade auf Tour sind und die ich am Dienstag erst live in Dresden gesehen habe, haben bestimmt eine kleine Party nachts in der Garderobe gemacht. Ich hätte zu gern Mäuschen gespielt, zumal sie mit den ESC-Finalisten von Finnland, Blind Channel, auf Tour sind, die ja in Rotterdam Platz 6 beim ESC 2021 belegten. Das muss doch ein witziger Abend auf Tour gewesen sein...

Das zweite Problem: Die Jurypunkte

Spannend finde ich, dass sich die Jurypunkte für die Musik-Acts gestern wieder einmal so krass von den Publikumspunkten unterschieden haben. Das Ergebnis hätte wohl ganz anders ausgesehen, gäbe es diese seltsamen Jurys aus vier bis sechs Personen nicht. In der deutschen Jury entschieden Schlagersängerin Michelle, Max Giesinger, Christian Brost und Tokunbo. Besonders gut kamen entgegen der Jurypunkte auf jeden Fall Serbien und Moldawien an. Auch Spanien und Schweden waren sehr beliebt. Die Spanierin Chanel hat mit Abstand die allerkrasseste Performance mit "Slomo" abgeliefert. Um Platz 1 kämpften Sam Ryder aus Großbritannien und das Kalush Orchestra aus der Ukraine. Ich muss sagen, dass es lange aussah, als würde Sam Ryder gewinnen. Ich freute mich dann umso mehr, dass die Publikumspunkte so sehr für die Ukraine ausfielen. Ob der Contest nächstes Jahr dort stattfinden kann ist bislang ungewiss.

 

Das dritte Problem: Wie politisch ist der Wettbewerb?

Jetzt gehen die Diskussionen wieder los. Wie politisch ist der Wettbewerb? Hat es die Ukraine wirklich verdient zu gewinnen? Wieder sieht man, dass es nicht um die Musik geht... Blah blah blah. Aber ich sage, dass der ESC-Beitrag der Ukraine "Stefania" ein sehr guter war und ich mich letzten Endes doch gefreut habe. Wir haben in unserem Freundeskreis ebenfalls unsere eigenen Punkte vergeben und bei uns gewann die Ukraine ebenfalls haushoch. Irgendwie fanden alle, die sonst so komplett gegensätzliche Geschmäcker haben, den Song gut.

 

Ein weinendes Auge

Ich war sehr traurig, dass meine Favoriten tatsächlich sehr schlecht abschnitten. Dafür waren sie zumindest sehr im Gespräch. Zum Beispiel die Bananenwölfe aus Norwegen. Da rappelte es ordentlich auf der Bühne. Auch Frankreich lieferte etwas Mystisches aus Folklore und Elektro ab. Finnland (The Rasmus mit "Jezebel") ist immer noch mein Lieblingslied und der Song, der es auf jeden Fall in meine Playlist geschafft hat. Alles in allem kann 2022 den ESC 2021 nichts schlagen. Da waren die Beiträge einfach erste Sahne und ich habe Tix, Efendi, Dadi und alle anderen sehr vermisst. Zum Glück sah man einige Teilnehmer wieder, als sie die Jurypunkte für ihr Land vergaben. :)

Ich hoffe, Malik Harris hatte eine super Zeit und nimmt sich den Hate nicht so zu Herzen, eigentlich ist nicht er der Verlierer, sondern der NDR. Er ist ein super Musiker und hat hoffentlich viele neue Fans mit seinem Song "Rockstars" in Turin gewinnen können. Immerhin war seine Performance sehr emotional und professionell. Das Finale wurde von Italien ausgerichtet und die Bühne war mit einem Wasserfall ausgestattet. Da hat sich Italien richtig ins Zeug gelegt. Auch die Gewinner des ESC 2021, Maneskin, sind aufgetreten und haben ihr neues Lied "Supermodel" performt. Übertragen wurde der Eurovision Song Contest 2022 von der ARD.