Freiberger Altarverhüllung: Wie ein Chemnitzer Künstler sich immer wieder neu erfindet

Kirche Thema "Ecce Homo" ist Lebensmotto des Künstlers Michael Morgner

Freiberg. 

Freiberg. Am Aschermittwoch 2024 verfolgten zirka 70 Personen im Dom St. Marien Freiberg in einer Andacht, wie vor ihren Augen das Tuch zum Thema "Ecce Homo" ("Siehe, der Mensch" (Jh. 19,5)) hochgezogen und der Altar vor ihren Augen verdeckt wurde.

Farben spielen zusammen

Die hellen und dunklen, erdigen Braun- und Ockerfarben des aus knapp 60 hauchdünnen Seidenpapierblättern zusammengefügten Bildes korrespondieren mit den Farben des Steins im Dom. "Vielleicht", sagt der Künstler, "liegt es daran, dass ich aus der Gegend komme. Chemnitz, Erzgebirge, das ist mir nahe." So heißt es im Begleitheft, das Besucher und Besucherinnen des Doms zu dieser Kunstaktion mitnehmen können. Jedes Blatt ist mit dem selben Druckstock mit dunkler Lackfarbe bedruckt.

Skulpturen von Michael Morgner

Das Thema der Altarverhüllung kann als eine Art Lebensmotto von Michael Morgner bezeichnet werden. Vor vielen Jahren sah er im Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg die Skulptur "Christus in der Rast" von Peter Breuer (um 1500). Der geschundene Rücken dieser Darstellung des gegeiselten Christus inspiriert Michael Morgner bis heute, was in seinen Darstellungen des Menschen deutlich zu erkennen ist. Den Menschen in der gekrümmten Haltung bezeichnet er als "Angstfigur". Sie ist entstanden, so erzählt er, durch die Trauer über das zerstörte Chemnitz von 1945, das er als Kind sah. Eine Plastik des Gekrümmten steht in Chemnitz auf dem Platz des Friedens. In der Figur sieht Michael Morgner den klassischen DDR-Bürger in einer Neubauwohnung: Die Einrichtung der Wohnung sei gleich gewesen - Schrankwand, Sofa, Tisch. Die Figur hat keine Arme und keine Beine, aber sie richtet sich langsam auf. Für Dresden hat er eine ähnliche Figur geschaffen. Dort hat er sie gedreht, damit sie eine Brücke ergibt. Diese steht in der Nähe des MDR-Gebäudes.

Mit dem Betrachter ins Gespräch treten

Das Tuch im Freiberger Dom tritt mit der Architektur und den mittelalterlichen Kunstwerken gewissermaßen ins Gespräch, und nun auch mit dem Betrachter oder der Betrachterin. "Siehe, der Mensch" - eine immerwährende Frage in der Auseinandersetzung mit dem geschlagenen Christus, den Pilatus nur wenig später zur Kreuzigung verurteilen wird, an jede Generation. Für Michael Morgner richtet sich die gekrümmte "Angstfigur" auf.

Andacht um 12 Uhr sowie Abendandachten

Der Dom ist täglich zu besichtigen. Dienstags lädt die Kirchengemeinde 12 Uhr zu einer Andacht ein. In den letzten beiden Wochen vor Ostern finden Abendandachten vor dem Tuch statt. Nach den sonntäglichen Gottesdiensten in der Annenkapelle gegenüber kann die Altarverhüllung ebenfalls besichtigt werden.

Das Kollektiv hat die Altarverhüllung im letzten Jahr organisiert. Auch dieses Jahr haben sie unterstützende Arbeit geleistet. Die Altarverhüllung 2024 ist kein Projekt am Purple Path, sondern ein Folgeprojekt. Denn ohne die Aktion 2023 hätte es keine Altarverhüllung 2024 gegeben.

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