"Recht auf eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten"

Expertengespräch Falschinformationen als Schwerpunktthema der Videokonferenz des Ministerpräsidenten

Sachsen. 

Sachsen. Nur die Gesellschaft als Gesamtes könne Perspektiven schaffen. Und dafür sei die Eigenverantwortung jedes Einzelnen gefragt. So lautete der Aufruf von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am Ende einer erneuten Video-Konferenz am Donnerstag. Ziel der regelmäßig öffentlichen Zwischenbilanzen sei es, "transparent zu machen, aufgrund welcher Daten und Argumente, wir als Sächsische Staatsregierung die nächste Corona-Schutz-Verordnung gestalten."

Es sei auch für die Politikerinnen und Politiker immer ein "zähes Ringen", wenn Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pandemie getroffen werden müssten. Die nächste Verordnung wird bereits heute (10. Dezember) erlassen.

"Zersetzende Lügen stärker bekämpfen"

Man hätte es mittlerweile mit Sozialen Netzwerken zu tun, in denen Falschinformationen in ungeahnten Größenordnungen vermittelt würden, machte sich Kretschmer Luft. "Und wer über Monate nur Lügen hört, der weiß am Ende nicht mehr, was die Wahrheit ist. Der Umgang mit den Falschinformationen sei auch Schwerpunkt der Ministerpräsidenten-Konferenz gewesen. "Wir werden dort einen Antritt machen, dass diese zersetzenden Lügen, die auch staatliche Institutionen, die Wissenschaft, den Journalismus, die Justiz zerstören, stärker bekämpft werden können."

Krankenhäuser am oberen Limit

Angesichts der ansteckenderen Omikron-Variante des Corona-Virus mahnte Kretschmer: "Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Wir müssen uns impfen. Es ist die einzige Chance, um durch diese Welle zu kommen." Gleichzeitig spüre die Staatsregierung, dass die Akzeptanz für die Einschränkungen stärker ist, als vor einem Jahr, weil die Maßnahmen je nach Belastung der Krankenhäuser getroffen werden. Aktuell heißt das: "Die Krankenhäuser sind voll. Wir sind an einem absoluten oberen Limit. Wir machen uns alle keine Vorstellungen, was da gerade in den Krankenhäusern passiert. Es findet nur noch Notbetrieb statt. Patienten werden bereits in andere Bundesländer ausgeflogen."

Intensivstationen zu 90 Prozent mit Covid-Patienten belegt

Marcel Koch, Geschäftsführer Krankenhaus-Gesundheitsholding Erzgebirge GmbH, gab einen Einblick in die Erzgebirgskliniken und sprach von einer 90-prozentigen Belegung mit Covid-Patienten auf den Intensivstationen - die meisten mit Beatmung. Eine sogenannte Triage, bei der Ärztinnen und Ärzte nach voraussichtlichen Heilungschancen priorisieren müssen, konnte am Wochenende noch abgewendet werden. "Aber nur, weil 15 Intensivpatienten verstorben sind." Die höchste Belegung auf den Intensivstationen werde aber erst für die kommenden Tage erwartet.

"Viele Behauptungen falsch"

"Wir müssen gezielt gegen Falschinformationen vorgehen", bat auch Marcel Koch und sprach von einer "hohen Quote an Ignoranz". Die Behauptung, man habe Betten abgebaut, sei schlichtweg falsch. Es wurden in den vergangenen Monaten sogar mehr Intensivbetten und Beatmungsplätze geschaffen. Derzeit sei nicht die Ausstattung der limitierende Faktor, sondern das Personal. Zudem habe man kaum Patienten auf den Stationen, die geimpft sind und "nur" wegen Covid kommen. "Man kann nicht oft genug betonen, dass die Impfungen vor schweren Erkrankungen und schweren Verläufen schützen."

Long Covid - die stille Welle

Ein blinder Fleck in der Diskussion seien die Long-Covid-Fälle, meinte der zugeschaltete Dr. Eckart von Hirschhausen. Jede der laut diskutierten Ansteckungswellen bringe auch eine dieser stillen Wellen mit sich. Es gebe viele, die nicht wirklich genesen. Man gehe davon aus, dass jeder Zehnte nicht nur die 14-tägige Infektion durchmache, sondern auch mit Long Covid zu kämpfen hat - darunter auch viele Menschen aus Gesundheitsberufen. Bitter sei, dass diese Menschen "oft abgetan werden als depressiv oder psychosomatisch. Die würden sich das einbilden oder wollen einfach nicht mehr arbeiten. Das ist doppelt desaströs für die Gesellschaft."

"Recht auf eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten"

Zudem betonte von Hirschhausen: "Impfen ist sicher, impfen ist sinnvoll, impfen ist solidarisch und eine Entscheidung für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und wenn wir über den Sinn von Impfung sprechen, machen Menschen oft einen grundsätzlichen Denkfehler: Sie vergleichen die Risiken der Impfung mit ihrem jetzigen Gesundheitszustand." Was man stattdessen kommunizieren sollte: "Wer nicht geimpft ist, wird früher oder später, garantiert infiziert werden." Sinnvoller sei es deshalb, das Risiko der Impfung mit dem Risiko der Infektion zu vergleichen.

Darüber hinaus seien die ersten Omikron-Daten aus dem Paul-Ehrlich-Institut beunruhigend. "Dass heißt, mindestens drei Impfungen werden gebraucht, damit wir gegen Omikron geschützt sind." Abschließend räumte der Arzt zudem mit Impfmythen und Falschinformationen auf. Jeder habe das Recht auf eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. "Gezielte Desinformation ist eine Realität, der wie uns stellen müssen." Es sei entscheidend zu wissen, über welche Kanälen man sich Informationen sucht.

 

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