Wie lange schützt uns die Corona-Impfung?

Forschung Das sagen Wissenschaftler zu Impfdurchbrüchen und Langzeitschutz

Dresden. 

Die Corona-Impfquote in Deutschland liegt wohl höher als bisher angenommen, wie das RKI kürzlich mitteilte. Kassenärzte-Chef Andreas Gassen vermutet im Interview mit BILD sogar eine deutlich höhere Impfzahl als in Dänemark, das sämtliche Corona-Maßnahmen mit dem 10. September aufgehoben hat. Vier Wochen nach dem "Freedom Day" seien die Infektionszahlen im Nachbarland "nicht in beunruhigende Höhen geschossen". Folglich fordert Gassen auch hierzulande die komplette Aufhebung aller Corona-Einschränkungen. Natürlich sei jedem freigestellt, sich weiter mit Maske und Abstand zu schützen, die Pflicht müsse aber weg. Gleichzeitig kommen immer mehr Studien zu dem Schluss, dass die Wirkungen der Impfstoffe mit der Zeit etwas nachlassen. Ist ein Stichtag zur Aufhebung sämtlicher Anti-Corona-Maßnahmen vor diesem Hintergrund realistisch? So ist der aktuelle Stand der Forschung:

90 Prozent niedrigeres Risiko einer Krankenhauseinlieferung

Die aktuell zugelassenen Corona-Impfungen schützen laut einer neuen französischen Studie - auch im Fall der hochansteckenden Delta-Variante - sehr effektiv vor schweren COVID-19-Verläufen. "Geimpfte Menschen haben ein neunmal geringeres Risiko, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden oder an COVID-19 zu sterben als Ungeimpfte", betont der Epidemiologe Mahmoud Zureik. Er ist Leiter der Wissenschaftsgruppe Epi-Phare, die am Montag die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichte. Dafür werteten die Forscher Daten von elf Millionen Geimpften mit jenen von elf Millionen Ungeimpften im Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis 20. Juli aus. Dabei berücksichtigten sie auch Geschlecht, Alter und in welcher Region die Betroffenen wohnten. Untersucht wurde die Wirkung der Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca. Ergebnis: Geimpfte hatten zwei Wochen nach ihrer zweiten Dosis ein 90 Prozent niedrigeres Risiko einer Krankenhauseinlieferung oder eines tödlichen Krankheitsverlaufs als Ungeimpfte. Im Fall der Delta-Variante sprachen sich die Wissenschaftler jedoch für Folgestudien aus, da die Datenlage sich nur auf einen Monat bezog. Die hochansteckende Virusvariante war erst im Juni in Frankreich aufgetreten.

Moderna-Impfstoff am stabilsten

Auch aktuelle Daten von Wissenschaftlern aus den USA, Großbritannien und Israel zeigen, dass bei allen Impfstoffen der Schutz vor einem schweren Verlauf lange sehr hoch bleibt. Die Gefahr einer Ansteckung mit einem vergleichsweise milden Verlauf steige jedoch mit der Zeit. Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, erklärt: "Wie zu erwarten war, stellen wir fest, dass der Schutz gegen Infektion, auch gegen eine symptomatische Infektion, über die Zeit etwas nachlässt, wenn man die Gesamtbevölkerung betrachtet." Studienergebnisse aus Großbritannien und Israel würden zeigen, dass der Impfschutz vor allem bei Älteren stärker schwindet. Ergänzende Zahlen liefert eine aktuelle Untersuchung der US-Gesundheitsbehörde CDC: Demnach sank die Effektivität des Biontech-Präparats nach vier Monaten auf 77 Prozent, während Moderna mit einer Wirkung von 92 Prozent nahezu stabil blieb.

Zusätzlicher Piks bei Impfstoff von Johnson & Johnson

Das bestätigen auch die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu Impfdurchbrüchen: Bei Moderna gebe es bislang am wenigsten Durchbruchsinfektionen, Biontech und Astrazeneca liegen gleichauf, wobei man jedoch noch berücksichtigen müsse, dass die Jungen, Gesunden eher Moderna und die Älteren eher Astrazeneca oder Biontech erhalten haben. Das Johnson & Johnson-Vakzin schneide am schlechtesten ab. Allerdings wird bislang auch nur eine Dosis des Impfstoffs verabreicht. Die Ständige Impfkommission (STIKO ) empfiehlt deshalb eine zusätzliche mRNA-Impfstoffdosis (Biontech/Pfizer oder Moderna) für Menschen, die den Johnson & Johnson-Impfstoff erhalten haben.

Schutz vor schwerem Verlauf bleibt intakt

Gute Nachricht für alle, die wie Kassenärzte-Chef Andreas Gassen eine Aufhebung der Corona-Maßnahmen fordern: Der Schutz vor einer schweren Erkrankung, die mit Hospitalisierung, Beatmung oder gar Tod einhergehen, ist bei allen Impfstoffen nach einem halben Jahr noch fast genauso hoch wie zu Beginn. Laut RKI-Einschätzung beträgt der Schutz vor Hospitalisierung bei den 18- bis 59-Jährigen 93 Prozent und in der Altersgruppe ab 60 Jahren etwa 89 Prozent. Der Schutz vor Behandlung auf der Intensivstation liegt in der jüngeren Gruppe bei 96 Prozent und in der älteren bei 94 Prozent. Den Schutz vor Tod beziffert das Institut in den beiden Altersgruppen mit 97 und 88 Prozent.

Warum dann eine Booster-Impfung?

Bei bestimmten Personengruppen kann es zu einer reduzierten oder schnell nachlassenden Immunantwort nach einer vollständigen COVID-19-Impfung kommen. Die Auffrischimpfung (Booster) wird aktuell besonders Personen ab 80 Jahren und Pflegebedürftigen angeboten. Die STIKO und die Europäische Arzneimittelbehörde EMA empfehlen sie Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Zudem wird auch seit September 2021 Pflegekräften in Alten- und Pflegeheimen, Beschäftigten in Einrichtungen für gefährdete Personen, Berufsgruppen, die regelmäßig Kontakt zu infektiösen Menschen haben, und über 60-Jährigen ein Impfangebot für eine Auffrischungsimpfung gemacht. Ein Booster stimuliere das Immunsystem noch einmal, wodurch wieder mehr neutralisierende Antikörper im Blut vorhanden seien, die das Virus blockieren. Auch die Zahl der Gedächtniszellen, die die Immunreaktion auf das Virus verstärken, steigt durch die Auffrischung an.

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