Gemeinsame goldene Ära von MV Agusta und Sachsenring

MOTORSPORT Italienische Nobel-Motorradmarke ist 100 Jahre alt

Sachsenring. 

Sachsenring. 100 Jahre alt wurde in diesem Jahr die italienische Motorrad-Nobelmarke MV Agusta, die nicht nur bei älteren Sachsenring-Fans für strahlende Augen sorgen dürfte.

 

Große Motorsport-Erfolge bereits in den 1950er-Jahren

Bereits 1951 brachte der westdeutsche Privatfahrer Karl Lottes auf dem alten Kurs eine MV Agusta an den Start und wurde in jenem Jahr im Rennen der 125-ccm-Klasse Zweiter. Ähnliches gelang 1953 seinem Landsmann Hubert Luttenberger, der ebenfalls in der Achtelliterkategorie auf einem Motorrad der aufstrebenden Marke Dritter werden konnte. Die ganz große Zeit von MV Agusta am Sachsenring begann dann 1961, als hier erstmals ein Lauf zur Motorrad-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Natürlich war da auch MV Agusta mit seinem Werksrennstall vertreten, der sich nach zehn Fahrer-WM-Titeln durch die Herren Cecil Sandford, Carlo Ubbiali und Tarquinio Provini in den kleinen WM-Klassen bis 125 bzw. bis 250 ccm Hubraum ab 1961 auf die 350er- und die 500-Kategorie konzentrierten. Bei den 500ern kam MV Agusta 1955 durch John Surtees zum ersten WM-Titel, denen der Brite 1958, 1959 und 1960 bei den 350ern und den 500ern sechs weitere folgen ließ. Danach wechselte er in den Automobilrennsport und schaffte es 1964 als einziger Motorrad-Weltmeister, sich auf Ferrari auch die Krone in der Formel 1 aufzusetzen.

Nach John Surtees Ausscheiden bei MV Agusta war der Rhodesier Gary Hocking das neue Aushängeschild, welches 1961 auf dem Sachsenring auch gleich die beiden Rennen der großen Klassen gewann. Es waren freilich nicht Gary Hockings erste Grand-Prix- oder Saisonsiege, sodass er Weltmeister beider Klassen wurde.

1962 kam Mike Hailwood zu MV Agusta und legte bis einschließlich 1965 eine ziemliche Siegesserie auf dem Sachsenring hin. Ihn löste Giacomo Agostini als Nummer 1 bei MV Agusta ab, der bis zum letzten WM-Lauf auf dem alten Sachsenring im Jahr 1972 elf Siege hier einfuhr, so viele für sehr lange Zeit kein anderer. 2021 schaffte es dann der Spanier Marc Marquez mit seinem Sieg im MotoGP-Rennen auf dem neuen Sachsenring, Ago's Rekord zu egalisieren.

 

Vom Flugzeug- zum Motorrad-Hersteller

MV (Meccanica Verghera) Agusta wurde 1923 als Familienunternehmen im nordwestlich von Mailand gelegenen Gallarate gegründet. Schwerpunktmäßig schrieb man sich die aufstrebende Luftfahrt auf die Fahnen, doch ab 1927 widmete man sich auch der Herstellung von Motorrädern.

Während des Zweiten Weltkrieges war MV den Mächtigen in Italien mit seiner mittlerweile langjährigen Erfahrung in der Flugzeugproduktion sehr dienlich.

Nachdem Italien 1943 den Krieg verloren gab und sich zurückzog, entschlossen sich die Brüder Domenico und Corrado Agusta erneut zur Motorradproduktion. In der Zeit kurz nach dem Krieg konkurrierten rund 150 Motorradhersteller in Italien, denn der Bedarf an motorisierten Fortbewegungsmitteln beschränkte sich auf schlichte und vor allem billige Fahrzeuge. Conte Domenico Agusta, der ältere der Beiden, entpuppte sich bald als der Engagiertere. Rennmotorrädern gehörte seine große Leidenschaft.

 

Eine Frage des Taktes

Bis 1950 verschrieb man sich in Gallarate der noch nicht ganz ausgereiften Zweitakttechnik, doch schon bald stellte man auf Viertakttechnik um und blieb dieser über zwei Jahrzehnte, man könnte auch sagen bis zum ersten bitteren Ende, treu.

In den kleinen Hubraumklassen gelangte man ziemlich schnell an die Weltspitze. So errang Cecil Sandford 1952 den ersten Sieg beim ersten Start von MV Agusta auf der Isle of Man in der Lightweight-Klasse, was gleichzeitig den ersten GP-Sieg bedeutete. Nach einem weiteren Sieg sowie vorderen Platzierungen in den vier verbleibenden Rennen sprang am Saisonende zusätzlich die Fahrerweltmeisterschaft für den Briten heraus. Die Doppelnocken-MV 125 ccm wog 76 kg und erreichte mit ihren 15 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h.

Bis Anfang der Sechzigerjahre dominierte MV die Klassen 125 bzw. 250 ccm und errang zehn WM-Titel. Allein Carlo Ubbiali holte acht seiner insgesamt neun Titel auf einer Gallarater Maschine. Doch das eigentliche Ziel des Grafen waren die beiden großen Hubraumklassen. So verpflichtete er für 1951 den ersten Halbliter-Weltmeister Les Graham. Der brachte neben seiner Erfahrung auch wichtige Kenntnisse seines Freundes Ernie Earles, dem Erfinder der gleichnamigen Vorderradgabel, mit. In den großen Hubraumklassen hatte MV auf dem Fahrwerkssektor einigen Nachholbedarf. Anfangs kam man der Konkurrenz nur langsam näher. 1952 gewann Graham schließlich die beiden letzten Saisonrennen bei den 500ern, so dass man in das darauffolgende Jahr große Erwartungen setzte, doch zum Saisonbeginn verunglückte er bei der englischen TT tödlich.

 

Vierfach-Triumph

Für 1955 wurde der Rhodesier Ray Amm verpflichtet. Aber auch dieser Spitzenfahrer verlor auf einer MV sein Leben und zwar bei seinem ersten Rennen für den Grafen, einem nationalen Lauf in Imola. 1956 erlebte das Team aus Gallarate im belgischen Spa-Francorchamps einen der schönsten Tage der Firmengeschichte. In allen vier Rennen des Tages überqueren MV's als erste den Zielstrich. Carlo Ubbiali gewann die beiden kleinen Klassen, John Surtees die beiden großen. Ähnliches gelang vorher nur Norton, die ebenfalls in Spa die drei ausgeschriebenen Klassen 350 ccm, 500 ccm und Seitenwagen durch Geoff Duke bzw. Eric Oliver gewannen.

1956 holte John Surtees die langersehnte erste Halbliter-WM für MV Agusta, obwohl er nur an der Hälfte von insgesamt sechs Saisonrennen teilnehmen konnte. Nach drei Siegen in Folge verletzte er sich bei einem Sturz auf der Stuttgarter Solitude so schwer, dass er für den Rest des Jahres ausfiel. Nachdem er weitere sechs WM-Titel für die Italiener gewonnen hatte, wurde Surtees 1964 Formel 1-Weltmeister auf Ferrari, dem Pendant zu MV Agusta im Automobil-Rennsport. Dieses Kunststück zu wiederholen, war bislang keinem weiteren Piloten beschieden.

 

Leichtes Spiel

Zum Ende der 1957er-Saison stiegen Gilera, Mondial, Moto Guzzi und Norton werkseitig aus dem GP-Sport aus. Auch DKW und NSU waren nicht mehr dabei. Als Gründe nannte man die gestiegenen Kosten, sowie das Verbot der Vollverkleidungen. Somit hatte MV leichtes Spiel und stellte in den folgenden drei Jahren sämtliche Weltmeister der vier Soloklassen. Im Laufe der Zeit mehrten sich die Stimmen, die behaupteten, MV würde dank fehlender Konkurrenz WM-Titel sammeln, wie andere Leute Briefmarken. Auf Grund des damit einhergehenden Verlustes der Werbewirksamkeit kündigte auch Conte Agusta für 1961 den werkseitigen Ausstieg an. Nachdem man Gary Hocking lediglich zwei Mechaniker aus Gallarate zur Verfügung stellte, konnte der Graf zu Saisonmitte seiner großen Leidenschaft nicht mehr widerstehen und kehrte in den Grand-Prix-Zirkus zurück. Nun allerdings nur noch in den beiden großen Soloklassen 350 und 500 ccm.

Im darauffolgenden Jahr ließ Domenico Agusta seine 350er-Renner beim Heim-GP in Monza nicht an den Start gehen. Die Konkurrenz aus Fernost in Gestalt von Honda war mittlerweile in dieser Klasse überlegen. Dieses könnte man nun als Unsportlichkeit oder gar Feigheit kommentieren, doch sollte bedacht werden, dass nach dem Ausstieg der großen Gegner die Weiterentwicklung nicht mehr mit letzter Konsequenz vorangetrieben wurde.

 

Eine ungewöhnliche gemeinsame Erfolgsgeschichte

1965 holte Conte Agusta Giacomo Agostini zu MV. Der hatte im Jahr zuvor die italienische 250er-Meisterschaft vor seinem Stallgefährten, dem erfahrenen Ex-Weltmeister Tarquinio Provini, gewonnen. Um sich auf die Formel 1 zu konzentrieren, stieg Honda Ende 1967 wieder aus. Damit wurde es für MV wieder relativ einfach, gegen Privatfahrer auf ihren Matchless, Norton, Metisse, Seeley, Linto, Paton usw. zu gewinnen. So wurde Giacomo Agostini auf MV zum Seriensieger bzw. -weltmeister, der bei manch einem Rennen sämtliche Mitstreiter überrundete. Aber Motorradrennsport war nun mal das Ein und Alles des Grafen, zumal er es sich als Marktführer bei der Hubschrauberproduktion auch finanziell leisten konnte.

In der konkurrenzlosen Zeit versuchte er, vor allem bei Heimrennen, künstlich Spannung zu erzeugen. So beispielsweise 1968 in Monza. Hier engagierte er noch einmal Mike Hailwood, der nach "spannendem Kampf" schließlich hinter "Ago Nazionale" einlaufen sollte. "Mike the Bike" lehnte dankend ab und verabschiedete sich noch zwischen den Trainingsläufen in Richtung Benelli.

 

Das Brüllen verstummte

Anfang der 1970er Jahre gab es durch zunächst privat eingesetzte Yamaha endlich wieder ernsthafte Gegner. Anfänglich bei den 350ern, später auch in der Königsklasse.

Im Februar 1971 starb Graf Domenico Agusta überraschend an Herzversagen. Die Leitung von Firma und Rennteam übernahm sein Bruder Corrado und wenig später eine Holding. Die mittlerweile konkurrenzfähigen Zweitakter von Yamaha und Suzuki rüttelten immer stärker am Thron der Vierzylinder-MVs.

Mitte der 1970er-Jahre reglementierte die FIM die maximal zulässige Phonzahl auf 116 Phon. Die viertaktenden MVs schafften locker 130 Phon bzw. heute dB(A). Die Geräuschdämpfung wäre aber nur in Verbindung mit gravierendem Leistungsverlust möglich gewesen, sodass man sich in Gallarate zum endgültigen Rückzug entschloss.

1976 setzte Giacomo Agostini, mit Hilfe von sich zaghaft vermehrenden Sponsoren (in diesem Fall vor allem api und Marlboro) die 350er und 500er MV privat ein. Beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring holte Ago am 29. August den letzten GP-Sieg auf einer reinrassigen MV Agusta.

 

Comeback in der Königsklasse?

Nach zahlreichen Besitzerwechseln und von mäßigem Erfolg gekrönten Comebacks im Motorradrennsport war MV Agusta in der jüngeren Vergangenheit in der Moto2-WM bzw. ist aktuell in der Supersport-WM engagiert.

In diesem Jahr übernahm die österreichische KTM AG, eine Tochter der Pierer Mobilty AG, zu der auch die Marken Husqvarna und GASGAS gehören, die Aktienmehrheit an MV Agusta, wodurch schnell Hoffnungen geschürt wurden, dass die Edelmarke mehr oder weniger zeitnah in die Königsklasse des Grand-Prix-Sports zurückkehren könnte.

  Newsletter abonnieren

Euer News-Tipp an die Redaktion