Sachsenring. Schön, dass die Motorrad-Weltmeisterschaft 1998 nach 26-jähriger Pause an den neuen Sachsenring zurückgekehrt ist und alljährlich zehntausende Fans erfreut. Am heutigen 9. Juli vor 50 Jahren legte sich Trauer über den alten Sachsenring, über Hohenstein-Ernstthal sowie die gesamte Region.
Vom 7. bis 9 Juli 1972 gastierte die Weltelite letztmalig auf dem damals 8,618 Kilometer langen Straßenkurs mit Stadt- und Walddurchfahrt. Bei hochsommerlichem Wetter ließen sich insgesamt 250.000 Zuschauer den Abgesang nicht entgehen. An eine Rückkehr der Weltmeisterschaft glaubte so recht niemand zum damaligen Zeitpunkt. Dazu bedurfte es, bei allen Fehlern und aller Kritik, erst der politischen Wende.
Die DDR hatte sich, politisch motiviert, ziemlich exzessiv die motorsportliche Selbstisolation auferlegt. Die damals weiteren sozialistisch diktierten Länder waren da weit weniger hingebungsvoll, sodass danach die WM-Läufe im tschechoslowakischen Brno von zahlreichen Ostdeutschen geflutet wurden.
In der DDR gab es ab 1973 nur noch nationale bzw. halbinternationale Magerkost, was die Leistungen der unbeugsamen Bastler, Tüftler und Enthusiasten, die den Motorsport unter schwierigsten Bedingungen überhaupt erst hier am Leben gehalten haben, keineswegs schmälern soll.
Ende und Anfang einer Erfolgsgeschichte
Nach den Trainingstagen Freitag und Samstag aller Klassen durften am Samstagnachmittag die Akteure der nationalen Ausweisklasse bis 125 ccm den Rennreigen eröffnen.
Das erste der letzten WM-Rennen war ebenfalls jenes der Achteiliterklasse. Dabei rang des Schwede Börje Jansson auf einer Maico die Yamaha-Piloten Chas Mortimer aus Großbritannien sowie seinen Landsmann Kent Andersson nieder. Wie das Leben manchmal so spielt - es war das letzte 125er-Rennen auf dem alten Sachsenring und gleichzeitig der erste Grand-Prix-Sieg für die kleine schwäbische Marke. Hinter dem Österreicher Harald Bartol wurde der Niederländer Jos Schurgers auf einem "Bridgestone" getauften Unikat Fünfter und der damals noch Ostdeutsche MZ-Pilot Hartmut Bischoff Sechster. Der Top-Favorit Angel Nieto aus Spanien war, nachdem er die schnellste Rennrunde gedreht hat ausgefallen.
Ago im Pech
Das gleiche Schicksal ereilte Giacomo Agostini im anschließenden 350er-Rennen. In dieses war auch er als Top-Favorit gestartet, drehte die schnellste Rennrunde, mit der er gleichzeitig einen neuen Rundenrekord aufstellte, schied aber mit seiner MV Agusta drei Runden vor Schluss in Führung liegend aus. So gewann der bis dahin Zweitplatzierte, der Brite Phil Read auf einer weiteren MV Agusta ebenfalls vor zwei Yamaha-Treibern. Zweiter wurde der Italiener Renzo Pasolini vor dem Westdeutschen Dieter Braun, der mit seinem unverhohlenen Sieg ein Jahr zuvor mutmaßlich ebenfalls einen Sargnagel für den Sachsenring beigesteuert hatte. Vierter wurde mit deutlichem Rückstand der Italiener Silvio Grassetti auf einer MZ.
Auch die "Schnapsgläser" ein letztes Mal als WM-Rennen
Danach ging die Schnapsglasklasse bis 50 ccm auf die Strecke. Hier war es der Niederländer Jan de Vries, dem man den Sieg am ehesten zutraute. Doch auch er sa keine Zielflagge. Zuvor hatte er mit erstmals einem Schnitt von 140 km/h einen neuen Rundenrekord für diese Klasse aufgestellt, die nie mehr gebrochen werden sollte. Sein Landsmann Theo Timmer gewann schließlich auf einer Jamathi vor den Kreidler-Piloten Hans Hummel aus Österreich und dem Italiener Otello Buscherini. Auch hier gab es aus ostdeutscher Sicht einen sechsten Platz zu bejubeln, den Ludwig Uhlig auf der bemerkenswerten Eigenbau-Maschine namens Uhl-Stein, benannt nach ihren Schöpfern Ludwig Uhlig und Reiner Steinert, holte. Ihm folgte Eduard Borisenko aus der Sowjetunion auf einer Riga.
Aufstieg und Fall eines Superstars
Als vorletztes Rennen des Tages und der zu Ende gehenden Ära startete die Klasse bis 250 ccm Hubraum. Hierbei holte sich der Finne Jarno Saarinen mit seiner Yamaha und einem neuen Rundenrekord den Sieg. Dieser brachte ihm auf seinem Weg zu seinem einzigen WM-Titel in seiner 1973 per Todessturz im italienischen Monza endenden Karriere durchaus voran. Zweiter wurde Renzo Pasolini auf einer Aermacchi, der ein Dreivierteljahr später in den gleichen Unfall verwickelt war und dabei ebenfalls sein Leben verlor. Hinter dem Ungarn Janos Drapal und Kent Andersson wurde Bernd Tüngethal, der wenig später ebenfalls die DDR per bewilligtem Ausreiseantrag verließ, auf seiner MZ, wie sollte es an diesem Tag anders sein, auch Sechster.
Agos letzter Sachsenring-Streich
Den Showdown zelebrierten die Piloten der Halbliterklasse und dabei einmal mehr Giacomo Agostini. Mit seiner MV Agusta distanzierte er die nachfolgenden Rodney Gould aus Großbritannien auf Yamaha sowie den Neuseeländer Kim Newcombe auf der sensationellen König um deutlich mehr als zwei Minuten. Es war Giacomo Agostinis elfter Sieg auf dem Sachsenring, womit er auch diese Statistik, seit letztem Jahr gemeinsam mit Marc Marquez, anführt.