Monogame Beziehungen sind out!

Anikas Kommentar Konventionelle Beziehungskonstrukte werden rar

Anikas Kommentar

Ich bin ein junger Mensch und ich begegne vielen anderen jungen Menschen und eines ist mir in den letzten Jahren immer wieder aufgefallen. Es gibt dieses Phänomen, dass sich Menschen in sozialen, sexuellen und liebevollen Beziehungen nicht mehr oder nur schwer auf eine Person festlegen können oder wollen. Ich würde es nicht als Trend bezeichnen, eher als Wandel von konventionellen zu offeneren Beziehungskonstrukten und dieser Wandel hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht.

Polygamie und Polyamorie: Mehrere Liebes- und Geschlechtspartner

Es machen immer modernere Konstrukte wie die Ehe zu dritt, offene Beziehungen, freie Liebe mit wechselnden Geschlechtspartnern oder die bekannte F+ die Runde. Ich habe kürzlich mehrere Dokumentation über polygame (Vielehe, aber gesellschaftlich viel mehr: Sex mit mehreren Partnern) und polyamore (eine Person liebt mehrere Partner und pflegt zu jedem einzelnen eine Liebesbeziehung, wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist und einvernehmlich gelebt wird) Beziehungen angeschaut. Das war wirklich interessant, aber entsprach so gar nicht dem, was ich kannte, womit ich aufwuchs und was ich vorgelebt bekam, also einer monogamen Beziehung zwischen nur zwei Menschen.

Die Freiheit des Einzelnen steht heute mehr denn je an oberster Stelle. Man könnte auch sagen, das Ego, denn ich finde es schon ein wenig egoistisch sich nicht auf eine Person festlegen zu wollen, oder? Ich bekomme das Gefühl, Monogamie ist out geworden. Manche würden wohl argumentieren, dass der Mensch evolutionär nie darauf ausgelegt war, nur einen Partner zu haben. Es steht mir aber auch nicht zu, darüber zu urteilen. Wenn alle Personen so glücklich sind, sollen sie polygam oder offen mit mehreren Geschlechtspartnern leben. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass alle Beteiligten das immer wirklich sind. Wart ihr schon mal in mehrere Personen verliebt oder hattet mehrere Geschlechtspartner gleichzeitig?

Die "lockere Sache", die womöglich gar nicht so locker ist

Ich höre ständig von Leuten, dass sie vom Dating genervt sind. "Entweder sie halten einen nur warm, weil sie auf etwas Besseres warten oder wollen nur Freundschaft Plus", sagte eine Freundin zu mir und wenn ich mich so umhöre, habe ich das Gefühl, sie ist mit der Meinung nicht allein. Ich kenne viele Leute, die eine oder sogar mehrere F+ haben, also eine Freundschaft mit Sex, wo es (angeblich) keine Liebe füreinander gibt. Sich fest an jemanden zu binden, mit einer richtigen Beziehung oder gar Ehe, scheint out zu sein. Aber irgendwie scheinen die wenigsten Leute mit einer F+ richtig glücklich, so mein Gefühl.

Sicher habt ihr auch jemanden in eurem Freundes- oder Bekanntenkreis, der in einer "lockeren Sache" feststeckt, wo einer von beiden mehr will, aber sich die andere Person nicht festlegen möchte oder kann. Mir tut es leid, das mit ansehen zu müssen. Scheinbar harmonieren zwei Personen und mögen sich echt gern, vielleicht ist sogar einer verliebt, aber mehr als etwas "Lockeres" ist nicht drin, weil der eine "einfach gerade keine Beziehung möchte". Auf die Frage warum, kommt dann nur ein "Ich weiß es nicht", "Ist mir zu anstrengend" oder "Ich kann und will den Erwartungen nicht gerecht werden".  Was ist da los?

Wollen wir keine Verantwortung übernehmen?

Natürlich ist das Leben allein einfacher, weil man auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Warum sollte man auch freiwillig eine Beziehung eingehen, wenn man auch ohne Verantwortung und ohne Verpflichtung körperlich werden kann? Wo wir wieder beim Thema Egoismus wären. Es ist doch viel einfacher nur seinen Spaß zu haben und dann wieder seiner Wege zu gehen. Hach, das Leben könnte so schön einfach sein, aber meist klappen solche lockeren Verbindungen nicht auf Dauer, weil einer von beiden plötzlich doch mehr will. Das sind oft die Menschen, die gar nicht für "lockere Konstrukte" gemacht sind, die dann schnell Gefühle entwickeln oder von Anfang an mehr wollen, und hoffen, dass die andere Person sich doch in sie verliebt und aus einer F+ eine Beziehung wird. Außerdem kann nicht jeder Sex und Liebe so einfach trennen. Oder man nimmt etwas "Lockeres" in Kauf, bevor man ganz allein ist. Die Hoffnung, dass jemand, der mit einem schläft, doch richtige Gefühle entwickelt, bleibt vorhanden, ist aber bei einer F+ doch sehr unwahrscheinlich. Erst die Erfahrung und viel Kommunikation bringen Erleuchtung.

Grund 1: Bindungsunfähigkeit?

Beim Grübeln nach dem Warum frage ich mich oft, ob meine Generation einfach bindungsunfähig geworden ist. Erdrückt uns der Gedanke an Verantwortung füreinander? Aber wieso? Hatten wir schlechte Vorbilder? Immerhin betrug die Scheidungsrate 2020 38,52 Prozent, auf drei Eheschließungen kam eine Scheidung. (Quelle: Statista) Immer mehr Familien leben als Patchwork, Eltern trennen sich, manchmal schon vor der Geburt des Kindes. Ich habe wenige Freunde, deren Eltern immer noch zusammen sind. 

Grund 2: Findungsphase

Die Findungsphase scheint sich in Sachen Liebe auch etwas zu verschieben. Unsere Eltern waren teilweise schon mit 19 Jahren verheiratet, hatten einen Beruf und konnten ans Kinderkriegen denken. Sie mussten schon zeitig wissen, was und vor allem wen sie im Leben wollen. Bei ihnen kommt die Findungsphase dann erst in der Midlife Crises wieder. Jungen Leuten empfehlen sie eher: "Ihr seid jung, macht nicht den Fehler und bindet euch zu schnell" oder "Genießt euer Leben, solange ihr könnt und ungebunden seid" oder "Lebt euch aus, Familiegründen geht auch in den 30ern noch".  Manchmal schwenkt es auch ins genaue Gegenteil um, wenn man sich dann zu lange Zeit lässt. Unsere Findungsphase findet heute in den 20ern statt. Hat man einen Beruf oder Studium gefunden, probiert man sich erstmal aus, aber es ist auch nicht unüblich mit 28 nochmal eine Ausbildung zu beginnen. So ähnlich kommt es mir auch mit der Partnerwahl vor. Es gibt immer die, die schon mit 23 alles in trockenen Tüchern haben: Ehe, Kind, Haus. Aber es gibt viel mehr die, die eben mit Ende 20 immer noch nicht wissen, was sie wollen.

Grund 3: Abstumpfung durch Online-Dating

Wir sind die Digital Natives, die erste Generation, die mit Internet aufgewachsen ist. Soziale Medien, wie Instagram, Tiktok oder Youtube geben uns viel Einblicke in die Leben anderer Menschen, oft schönere, reichere und interessantere Menschen. So der Schein. Wir spüren den Drang mithalten zu müssen, benutzen Gesichtsfilter und andere Korrekturen, um uns schöner zu machen. Das wirkt sich auch aufs Dating aus. Immer mehr Menschen nutzen Datingapps und versuchen sich dort so gut wie möglich zu präsentieren. Und stumpfen dabei ab, ohne es zu merken. Freundinnen erzählten mir, dass Typen sie via Tinder anschrieben und nach zwei Nachrichten entweder keine Lust mehr auf die Konversation hatten oder sich direkt treffen wollten, aber meistens auch gleich dazu sagten, dass es nur um etwas Lockeres ginge. Es kam auch vor, dass das Match heimlich wieder aufgelöst wurde. Man bekommt dabei immer mehr das Gefühl vermittelt, dass etwas Besseres als man selbst an der nächsten Ecke warten würde, was man unter keinen Umständen verpassen dürfe. Was soll denn das? Aber sind wir doch mal ehrlich, in den seltensten Fällen gibt es diese bessere Person überhaupt! Und jemanden, der einfach nur gut zu einem passt, den lässt man ziehen, weil man hofft, ein noch besserer kommt. Seid doch mal zufrieden. Am Ende steht man allein da und stumpft ab. Ich für meinen Teil bevorzuge da doch lieber das richtige Leben abseits des Bildschirms.

Grund 4: Der Wandel der Welt

Unsere Welt ist im Wandel, mehr denn je. Heute gibt es nicht mehr einfach nur Mann und Frau, es gibt Cis-Männer, Männer, Cis-Frauen, Frauen und non-binäre Personen. In Deutschland ist die Eheschließung unter gleichgeschlechtlichen Paaren seit 2017 möglich. Auf Instagram können wir zum Beispiel nachverfolgen, wie "Couple on Tour" (Vanessa und Ina) gemeinsam ein Baby bekommt. Es scheint 2022 alles möglich. Wir leben im Überfluss, haben Freiheiten in Deutschland, jeden Job zu machen, den wir wollen und uns auszuprobieren. Die Welt versucht gerechter zu werden und politisch korrekter. Die Freiheit und vor allem die freie Liebe steht im Vordergrund. Selbstbestimmung. Jeder soll den oder die Menschen lieben dürfen, ohne dass das gesellschaftlich geächtet wird. Aber ich habe eher das Gefühl, dass die Liebe ein seltenes Gut ist. Die, die sie finden, müssen sie ganz doll festhalten und schützen. Sie ist 2022 rar.

Habe nur ich das Gefühl, dass die sexuelle Anziehung heute mehr im Vordergrund steht als die Liebe? Geht es nur noch um körperliches Verlangen und Triebbefriedigung? Ist uns das wichtiger, als wirklich einen oder mehrere Seelenverwandten zu finden? Da wären wir wieder beim Egoismus angekommen. Und etwas "Lockeres" zu starten, was unsere Triebe befriedigt und uns für einen kurzen Moment glauben lässt, geliebt zu werden, scheint immer noch besser als allein zu sein. Da stellt sich mir die Frage, ist unsere Gesellschaft wirklich so offen und modern oder einfach nur verkorkst geworden?

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