Chemnitzer Stadtfest 2018: Ein Mord und die Reaktionen

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Wir schreiben den 25. August 2018. Das Chemnitzer Stadtfest ist in vollem Gange. Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger hat sich in der Innenstadt versammelt. Es wird gelacht, den Live-Künstlern zugehört und Bratwurst gegessen. Man hört fröhliche Kinder, die vor Aufregung laute Schreie von sich geben, während sie auf den Fahrgeschäften durch die Luft gewirbelt werden.

Zur gleichen Zeit verabredet sich Farhad Ramazan A. mit seinen Freunden per Handy. Sie wollen gemeinsam in die Shisha-Bar in der Brückenstraße, am Rande des Stadtfestes. Dort angekommen, verbringen die drei den Abend zusammen. Gegen Mitternacht lädt Farhad ein Foto auf Instagram hoch, dass ihn gemeinsam mit Alaa S. und einem weiteren Begleiter zeigt, wie sie rauchend vor dem Eingang der Bar an einem kleinen Tisch stehen. Kurz darauf wird es stiller in der Stadt, denn die Buden des Chemnitzer Stadtfestes schlossen um 1 Uhr am Sonntagmorgen und die Gäste machten sich langsam auf den Weg nach Hause.

Die Nacht war noch jung und so blieben die drei Freunde in der Shisha-Bar, von wo sie kurze Zeit später aufbrechen und zu dem Dönerimbiss an der Kreuzung Brückenstraße/Straße der Nationen gehen. Gegen 3.15 Uhr stieß eine Gruppe auf Farhad und seine Begleiter. Die beiden Gruppen begannen einen Streit, der schnell eskalierte. Farhad und seine Freunde zogen Messer und verletzten dabei drei Männer im Alter von 33, 35 und 38 schwer. Der 35-jährige Daniel H. überlebte die Verletzungen nicht und verstarb kurz darauf im Krankenhaus.

Kurze Zeit später konnte die Polizei zwei Tatverdächtige, den 22-jährigen Yousif Ibrahim A. und den 23-jährigen Alaa S., stellen. Beide Verdächtigen kamen in Untersuchungshaft. Zeitgleich begann die Generalstaatsanwalt Dresden mit den Ermittlungen. Gegen Yousif Ibrahim A. wurden diese aufgrund mangelndem Tatverdachts zirka drei Wochen später eingestellt. Im August 2019 wurde Alaa S. zu einer Haftstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der dritte Tatverdächtige, Farhad Ramazan A., flüchtete nach der Tat in Chemnitz und konnte seitdem nicht gefunden werden. Gegen ihn besteht weiterhin Haftbefehl.

Reaktionen auf den Mord am 26. August

Am 26. August 2018 wurde das Stadtfest vorzeitig abgebrochen. Rechte Gruppen begannen bundesweit auf sozialen Netzwerken zu mobilisieren. Am Nachmittag des 26. August 2018 fanden in Chemnitz zwei rechte Demonstrationen statt. Die AfD-Demonstration blieb nach Angaben der Polizei friedlich. Zu der zweiten Demonstration, zu der eine Gruppe rechtsextremer Hooligans aufgerufen hatte, kamen rund 800 Personen, welche durch die Chemnitzer Innenstadt zogen und rechte Parolen riefen. Videoaufnahmen, die im Internet veröffentlicht wurden, zeigen, wie aus der Demonstration heraus Polizeibeamte angegriffen und Personen verfolgt und beschimpft wurden, die die Demonstranten für Migranten hielten. Michael Kretschmer äußerte sich in einer Regierungserklärung und sagte, dass es "keinen Mob, […] keine Hetzjagd, […] kein Pogrom" gegeben habe. Dies stieß, aufgrund der gegenteiligen Videohinweise auf massive Kritik.

Reaktionen am 27. August

Am 27. August kam es zu einer Versammlung, die durch die Bürgerbewegung Pro Chemnitz angemeldet wurde. An dieser nahmen 6.000 Personen teil, darunter auch Mitglieder der NPD-Jugendorganisation und bekannte Vertreter der Parteien "Der III. Weg" und "Die Rechte". Mobilisiert haben außerdem die Kameradschaftsszene, Pegida und die Identitäre Bewegung. Die Linke meldete eine Gegendemonstration an, zu der etwa 1.500 Personen kamen. Die Demonstrationszüge wurden von knapp 600 Polizeibeamten voneinander getrennt. Bei der Abreise wurde eine Gruppe Rechter von linken Demonstranten angegriffen. Zudem wurde über Szenen Rechtsextremer berichtet, die Journalisten und Gegendemonstranten angriffen. Am Abend wurde das jüdische Lokal "Schalom" in Chemnitz von Vermummten angegriffen, die antisemitische Parolen riefen.

Reaktionen am 30. August

Ministerpräsident Michael Kretschmer besuchte Chemnitz. Dieser Termin stand schon seit Anfang 2018 fest und war Teil der "Sachsengespräche". Pro Chemnitz rief zu einer Demonstration auf, zu der rund 1.000 Teilnehmer, darunter wieder Rechtsextreme, kamen, um gegen Kretschmer zu demonstrieren.

Reaktionen am 1. September

Ein Bündnis von Chemnitzer Bürgern, Unternehmern und Wissenschaftlern startete die Aktion "Chemnitz ist weder grau noch braun" mit großflächigen Anzeigen in Medien und Plakaten in der Stadt. Insgesamt wurden vier Demonstrationen in Chemnitz angemeldet.

Zum einen eine Demo der Chemnitzer Friedensgruppen zum Weltfriedenstag. Die stationäre Kundgebung "Herz statt Hetze" des Bündnisses Chemnitz Nazifrei fand an der Johanniskirche statt, an der etwa 3.500 Menschen teilnahmen. Eine Demonstration der Wählervereinigung "Bürgerbewegung Pro Chemnitz" sollte von 16 Uhr bis 17.30 Uhr stattfinden, wurde vom Organisator aber bereits gegen 16.40 Uhr aufgelöst. Die Pegida, AfD Sachsen, AfD Brandenburg und AfD Thüringen meldeten einen "Schweigemarsch" unter dem Motto "Wir vergessen nicht" an.  Etwa 4.500 Demonstranten waren dabei, darunter wieder einige bekannte Rechtsextremisten.

Reaktionen am 3. September

Die Chemnitzer Band Kraftklub und das Chemnitzer Stadtmarketing organisierten das kostenlose Konzert #Wirsindmehr, ein als Demonstration konzipiertes Event. Aufgrund der großen Nachfrage musste der ursprünglich geplante Veranstaltungsort verlegt werden. Letztlich wurde das Konzert auf dem ehemals großen Parkplatz neben der Johanniskirche durchgeführt. Zusätzlich wurde am Karl-Marx-Monument eine Bühne für DJs errichtet und im Stadthallenpark gab es Info- und Essensstände. Insgesamt gab es Schätzungen zufolge rund 65.000 Besucher. Künstler wie Trettmann, Materia und Casper, K.I.Z, Kraftklub und die Toten Hosen traten auf.

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